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Triage-Situationen diskriminierungsfrei gestalten

Mit der Veranstaltung ist es dem Landesbehindertenbeauftragten ein Anliegen gewesen, die intensiv geführte Diskussion zur Triage vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aufzugreifen und zu vertiefen. In der zweistündigen Fachveranstaltung ging es insbesondere um die Frage, was der Gesetzgeber nun tun muss, um verfassungsgemäße Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen zu treffen und eine Diskriminierung wirkungsvoll und praxistauglich zu verhindern. Unserem Büro lagen mehr als 400 Anmeldungen aus ganz Deutschland vor.

Auf dieser Seite stellen wir Ihnen alle relevanten Unterlagen zur Veranstaltung zur Verfügung.

Außenanlage des Bundesverfassungsgerichts
Foto: Bundesverfassungsgericht

Angesichts der andauernden Pandemie und der Überlastung des Gesundheitswesens betrachten behinderte Menschen mit Sorge, dass das Höchstmaß an diskriminierungsfreier gesundheitlicher Versorgung für sie beeinträchtigt sein könnte. Nicht mehr ausgeschlossen erscheint gegenwärtig sogar, dass über die Bereitstellung intensivmedizinischer Versorgung im Rahmen einer Auswahl entschieden werden muss (Triage). Die Debatte darüber, wie eine Auswahl aus medizinischer und ethischer Sicht getroffen werden kann und wie ein Verfahren zur Durchführung in den Krankenhäusern aussehen kann, wurde in Deutschland durch Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) angestoßen. Die Empfehlungen haben zu erheblicher Kritik und letztlich zu einer Klage behinderter Menschen gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.

Vor kurzem wurden die Empfehlungen aktualisiert. Es findet sich darin der Satz, dass eine Priorisierung aufgrund einer Vorerkrankung oder Behinderung nicht zulässig sei. Vorerkrankungen seien nur dann relevant, wenn sie die Überlebenswahrscheinlichkeit hinsichtlich der aktuellen Erkrankung beeinflussen könnten. Konkret werden nun beispielhaft Erkrankungsstadien des Herzens, der Niere oder der Leber aufgezählt. Demzufolge solche, die üblicherweise zu Behinderungen führen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Untätigkeit des Gesetzgebers in einem am 28. Dezember 2021 veröffentlichten Beschluss einen Verstoß gegen das besondere Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz) gesehen und den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich wirksame Vorkehrungen zu treffen, um behinderte Menschen in einer pandemiebedingten Triage nicht zu benachteiligen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Empfehlungen der DIVI nicht ausreichen, da sie zu einem Einfallstor für die Benachteiligung behinderter Menschen werden können, indem Behinderungen stereotyp mit schlechten Genesungsaussichten verbunden werden.

Zu sehen sind Sigrid Arnade, Nancy Poser und Nicole Braun während der zoom Veranstaltung
Foto: LBB

14:00 Uhr
Begrüßung und Einleitung in das Thema
Arne Frankenstein - Landesbehindertenbeauftragter der Freien Hansestadt Bremen

14:10 Uhr
Schlussfolgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für den Fall einer Triage
Prof. Dr. Oliver Tolmein, Rechtsanwalt der Kanzlei Menschen und Rechte
Nancy Poser, Beschwerdeführerin vor dem Bundesverfassungsgericht zur Triage

14:30 Uhr
Stand der aktuellen Diskussion des Runden Tisches "Triage"
H.- Günter Heiden, NETZWERK ARTIKEL 3 e.V.

14:40 Uhr
Fragerunde und Zusammenfassung der Rückmeldung aus dem Chat
Janina Bessenich, Geschäftsführerin des CBP – Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V.

15:00 Uhr
Das Vorgehen des Bundestags
Corinna Rüffer, MdB Bündnis 90/Die Grünen
Jens Beeck, MdB FDP
Hubert Hüppe, MdB CDU

15:30 Uhr
Fragerunde und Zusammenfassung der Rückmeldung aus dem Chat
Janina Bessenich

15:45 Uhr
Ausblick und nächste Schritte
Horst Frehe, Mitglied des Sprecher:innenrates des Deutschen Behindertenrat sowie
alle Referent:innen

16:15 Uhr Ende der Veranstaltung

Moderation: Dr. Sigrid Arnade – freie Journalistin

Kompaktkassette
Foto von Stas Knop von Pexels

Mit freundlicher Genehmigung aller Referentinnen und Referenten sowie der Moderatorin der Veranstaltung.
Produktion 2022


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Auf folgender Seite ist der Download des Audio-Mitschnitts der Veranstaltung möglich.

Bei Problemen wenden Sie sich bitte an office@LBB.bremen.de

Transkript zum Download (pdf, 338.2 KB)

Frankenstein

Sehr geehrte Teilnehmende, ich darf Sie als Landesbehindertenbeauftragter der Stadt Bremen ganz herzlich zu unserer heutigen Fachveranstaltung begrüßen. Und das Thema der diskriminierungsfreien Gesundheitsversorgung für den Fall einer Covid-19-Traige beschäftigt uns ja eigentlich seit Beginn der Pandemie. Seit wir die verheerenden Bilder aus Bergamo sehen mussten, seit wir erfahren haben, dass im Elsass Menschen ab einem gewissen Alter nicht mehr beatmet worden sind, seit wir wissen, dass das Gesundheitssystem in einer Pandemie auch hierzulande vergleichsweise schnell an seine Belastungsgrenze geraten kann. Wir sind deshalb auch nicht die erste Veranstaltung, die sich dieser Frage widmet. Das werden wir nachher auch von Günter Heiden zum Runden Tisch "Triage" hören. Aber wir sind - jedenfalls soweit ich das weiß - die erste öffentliche Fachveranstaltung nach dem wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts der am 28.12. des vergangenen Jahres veröffentlicht worden ist. Darin hatte das Bundesverfassungsgericht erstens gesagt, lieber Gesetzgeber, dass du bislang untätig geblieben bist, verstößt gegen die Verfassung, genauer gesagt gegen das besondere Benachteiligungsverbot behinderter Menschen aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz. Und es hat zweitens gesagt, lieber Gesetzgeber, du musst unverzüglich wirksame Vorkehrungen treffen, um behinderte Menschen in einer pandemiebedingten Triage nicht zu benachteiligen. Dass es diesen Beschluss gibt, zeigt aus meiner Sicht erst einmal, wie wichtig es war, dass behinderte Menschen diese Verfassungsbeschwerde überhaupt erhoben haben. Denn alle staatlichen Entscheidungsträger*innen, die in diesem Land ein Gesetz hätten auf den Weg bringen können, haben dies nicht getan. Aus unterschiedlichen Gründen, aber jeweils geleitet aus meiner Sicht von der Fehlannahme, behinderte Menschen seien hinreichend geschützt. Dass der Gesetzgeber nun ranmuss, das liegt daran, dass sich behinderte Menschen auf ihre Rechte berufen haben und dies mit großer Sachkunde in Karlsruhe vorgetragen haben.
Sehr geehrte Teilnehmende, worum geht es? Es geht um nicht weniger als den Wert des Lebens und die Würde jedes Einzelnen. Das Bundesverfassungsgericht sieht das Leben von behinderten Menschen in Gefahr. Das ist der Grund, weshalb es dem Gesetzgeber eine Handlungspflicht auferlegt hat, und zudem vorgibt, dass diese unverzüglich zu erfüllen ist. So etwas passiert ganz, ganz selten, wenn das Verfassungsgericht entscheidet, und die Entscheidung zeigt, wie schwer die Untätigkeit wiegt und sie zeigt, dass der aktuelle Zustand, der sich allein auf unverbindliche Leitlinien stützt, die zudem inhaltlich diskriminierend sind, dass dieser Zustand nicht haltbar ist. Wir sind heute mit unserer Veranstaltung am Puls der Zeit. Am Puls der Zeit, der geprägt ist von Einordnung des Beschlusses aus Karlsruhe, von Einordnung unterschiedlicher Professionen und Disziplinen, und ich will klar sagen, all diese Einordnungen, diese Debatte, diesen gesellschaftlichen Diskurs, den brauchen wir, damit der Gesetzgeber am Ende eine Lösung entwickeln kann. Das hohe Interesse an dieser Veranstaltung deutschlandweit zeigt, dass sich Menschen in diesen Diskurs einbringen wollen und ich finde, das ist ein sehr gutes Zeichen für diese Debatte, aber auch für demokratische Prozesse insgesamt. Es geht aber natürlich auch um die Deutungshoheit über die Aussagen, die das Bundesverfassungsgericht getätigt hat. Und dazu will ich klar sagen, dass mir bislang die Perspektive behinderter Menschen in den Einordnungen und Analysen doch noch zu kurz kommt. Und deshalb freue ich mich, dass heute Nancy Poser als Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde und Professor Oliver Tolmein, der die Verfassungsbeschwerde juristisch ausgearbeitet hat, ebenso wie Horst Frehe für den Deutschen Behindertenrat darstellen werden, was ihre Schlussfolgerungen aus dem Beschluss sind für das weitere Vorgehen. Aus meiner Sicht atmet der Beschluss einen Geist, der geprägt ist von der tatsächlichen Gewährleistung von Menschenrechten und Antidiskriminierung. Es geht darum, nicht nur aufzuschreiben, dass man behinderte Menschen nicht diskriminieren darf, sondern auch sicherzustellen, dass dies nicht passiert mit ausnahmslos Allem, was dazu in einer Praxis, einer Notsituation im Krankenhaus dazugehört. Wiewohl das Bundesverfassungsgericht zu der konkreten Frage, weitere Vorgaben zu machen, in Kenntnis seiner Rolle keine Aussagen getroffen hat, trifft es doch aus meiner Sicht einige Aussagen, die dem Gesetzgeber Schlüsse nahelegen müssen, die er für den Spielraum seines Regelungsvorschlag beachten muss. Und dazu gehört zuvorderst Eins: Menschen mit Behinderung und Vorerkrankungen müssen sich darauf verlassen können, die gleiche Chance auf Behandlung zu erhalten wie Personen ohne Behinderung. Es gilt daher, einen Rahmen für einen diskriminierungsfreien Zugang zu medizinischer Versorgung auch in Ausnahmesituationen zu garantieren. Dieser ist umso wichtiger, als - und das zeigt auch die Praxis der Arbeit als Landesbehindertenbeauftragter hier in Bremen und in den vergangenen zwei Jahren - dass behinderte Menschen in der Pandemie strukturell benachteiligt worden sind. Durchweg fehlte aus meiner Sicht ein schlüssiges Gesamtkonzept, um denjenigen, die besonders gefährdet sind, vorrangigen Schutz und gleichwertige Teilhabe zu gewähren. Und ohne das zu vertiefen, möchte ich daran erinnern, dass behinderte Menschen lange keinen priorisierten Zugang zu Masken, zum Impfen hatten und dass besondere Wohnformen sich oftmals als Ort besondere Gefährdung und sozialer Isolation verfestigt haben. Sehr geehrte Teilnehmende, das Alles hat Spuren hinterlassen. Das hat Spuren hinterlassen am Umgang der Gesellschaft mit - und das sage ich jetzt bewusst - mit uns behinderten Menschen. Es hat Diskriminierungserfahrungen vertieft und verschlimmert, es hat erhebliche Belastung bewirkt, über das Maß, das für viele andere auch starke Belastungen mit sich gebracht hat. Auch deshalb ist der Beschluss aus Karlsruhe bei den Vertretungen behinderter Menschen so erleichtert aufgenommen worden, denn es zeigt, auf Karlsruhe ist Verlass. Es muss aber nicht nur auf das Bundesverfassungsgericht, das über die Grenzen der Verfassung wacht, Verlass sein. Es muss dauerhaft Verlass sein auf den demokratisch gewählten Gesetzgeber. Das gilt nicht nur, aber gewissermaßen auch als Bewährungsprobe für den Fall der Triage. Ich freue mich daher sehr, dass sich Corinna Rüffer, Hubert Hüppe und Jens Beeck als Abgeordnete des Deutschen Bundestags heute bereit erklärt haben, gewissermaßen aus dem Maschinenraum ihrer Überlegungen zu berichten und zu dem weiteren Vorgehen des Bundestags Stellung zu nehmen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, sich hierzu heute öffentlich zu positionieren und doch dringend erforderlich, damit wir konstruktiv und gemeinsam an einer Lösung arbeiten, die den Anforderungen an den gleichberechtigten Zugang zur Notfallversorgung behinderter Menschen zu jeder Zeit Rechnung trägt und hierfür dann auch Lösungen organisiert, auch dann, wenn sie schwierig sind. In diesem Sinne wünsche ich dieser Veranstaltung, dass sie einen konstruktiven Beitrag hierzu leisten kann, der über diesen digitalen Konferenzraum hinausgeht. Und mit diesem Wunsch übergebe ich an Ihre Moderatorin der heutigen Fachveranstaltung: Doktor Sigrid Arnade. Sie wird Sie durch die nächsten gut zwei Stunden hindurch manövrieren. Liebe Frau Doktor Arnade, Sie haben das Wort.

Arnade

Ja, ganz herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zu dieser Veranstaltung. Mein Name ist Sigrid Arnade, ich bin die Moderatorin der heutigen Veranstaltung und ich freue mich, dass diese Veranstaltung auf so große Resonanz gestoßen ist. Wir haben fast 400 Teilnehmende und das ist wohl auch dem recht jungen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu verdanken. Wie der heutige Tag - beziehungsweise die kommenden zwei Stunden - ablaufen, hat Arne Frankenstein ja schon kurz skizziert. Zunächst werden der Rechtsanwalt der beschwerdeführenden Parteien/ Personen zu Wort kommen sowie eine der Beschwerdeführe*rinnen selbst, und der Initiator des Runden Tisches "Triage". Und heute Nachmittag werden wir mit drei Bundestagsabgeordneten sprechen können Sie haben die Möglichkeit, sich per Chat an alledem zu beteiligen, wobei es wichtig ist, dass Sie Ihre Chatfragen markieren mit einer Raute davor. Janina Bessenich von Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie hat für uns einen Blick auf den Chat und wird dann Ihre Fragen herausfischen. Und das wird ihr leichter fallen, wenn Sie eine Raute davor schreiben. Wichtig ist, dass Sie Ihr Video und Ihren Ton ausschalten, denn diese Veranstaltung wird aufgezeichnet und das bringt sonst die Aufzeichnung durcheinander. Zu sehen sind die jeweils Redenden und die Gebärdensprachdolmetscherinnen Frau Braun und Frau Klein. Die Schriftdolmetschung können Sie über einen Link antippen, aber wie gesagt, es ist wichtig, Video und Ton auszuhaben. Geplant ist eine barrierefreie Aufzeichnung mit Transkription zeitnah auf dem YouTube-Kanal des Landesbehindertenbeauftragten zu veröffentlichen. Das soll alles barrierefrei sein, ob das alles so klappt wie geplant, wird sich zeigen, wir arbeiten daran. Es wird außerdem einen Tonmitschnitt geben, der dann zu einem IGEL-Podcast verarbeitet werden soll. Sie haben außerdem die Möglichkeit, sich über Mentimeter-Fragen zu beteiligen.
Und damit wollen wir gleich beginnen, denn uns interessiert, woher Sie kommen, aus welchem Bundesland Sie kommen. Wir nehmen an, dass es ein starkes Nord-Süd-Gefälle gibt, also mehr aus dem Norden als aus dem Süden. Aber das wollen wir auch visualisieren, und zwar mit einer Landkarte von Deutschland, wo Sie jeweils eintragen können, aus welchem Bundesland Sie kommen. Frau Brose, ich würde Sie dann bitten, die Mentimeter-Frage einzustellen. Sie können aber auch, wenn Sie das visuell nicht so auf die Reihe kriegen, also Sie können jetzt eben aus dem Chat das kopieren, Sie können den QR-Code scannen oder direkt über Mentimeter gehen und dann kommen Sie auf die Landkarte und können das eintragen. Sie können aber auch im Chat das schreiben, aus welchem Bundesland Sie kommen. Da wird unser technischer Support das für Sie eintragen. Und wir werden dann gleich, wenn Sie alle ihr Kreuzchen gesetzt haben, das Ergebnis haben und sehen, woher Sie kommen. Wie ich sehe schon im Chat: ******* zum Beispiel kommt aus Rheinland-Pfalz. So, jetzt haben wir schon Baden-Württemberg, Niedersachsen, Berlin und Bremen. Wahrscheinlich ja, ich sehe schon auch Bremen, Hamburg. Doch aber auch der Süden ist vertreten und wir kriegen dann als Ergebnis die ganze Deutschlandkarte und können dann sehen, wer sich wo eingetragen hat. Aber ich sehe schon, die meisten nutzen den Chat, sodass unser technischer Support nun sehr gefragt ist. Gut, dann erkläre ich Ihnen nochmal derweil, solange der technische Support arbeitet, nochmal kurz den Ablauf beziehungsweise das ist ja auch angekommen, dass...Ah, die sind doch schnell, die sind doch sehr fix. Da scheinen viele dran zu arbeiten. Also, wie erwartet, haben wir ein Nord-Süd-Gefälle: Die meisten kommen aus Bremen, Niedersachsen. Berlin ist auch ziemlich stark vertreten, aber ich sehe, wir haben eigentlich alle Bundesländer vertreten. Relativ wenig aus Sachsen-Anhalt und Thüringen, aber sonst ist es doch eine breite Streuung und wir haben auch außerhalb von Deutschlands Grenzen Teilnehmer*innen dabei. Es sieht ein bisschen teilweise so aus, als seien die im Ozean, das will ich nicht hoffen. Aber eben ja, wunderbar, wir haben doch eine sehr breite, lebendige Verteilung.

Arnade

Aber nun komme ich zu unserem ersten Referenten, Oliver Tolmein. Ich begrüße ganz herzlich Professor Doktor Oliver Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte aus Hamburg, der die beschwerdeführenden Personen als Rechtsanwalt in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hat. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn ich viele der heutigen Gesprächspartner duze, wir kennen uns teilweise schon sehr lange. Also Oliver, erst einmal ganz herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Erfolg und könntest du bitte den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für uns einordnen, sodass auch juristische Laien das möglichst verstehen können, und welche Konsequenzen müssen deiner Ansicht nach jetzt daraus folgen. Oliver bitte:

Tolmein

Ja, ich versuche das hier jetzt zügig durchzumachen in der knappen Zeit. Also das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Gesetzgeber, beziehungsweise der Bundestag und die Bundesregierung müssen unverzüglich handeln. Konkret heißt das, es muss irgendetwas passieren, vor allen Dingen, wenn im Zuge der gegenwärtigen Eskalation der Inzidenzwerte Ressourcenknappheit auf den Intensivstationen entstehen sollte. Zu diesem Fall sollte der Gesetzgeber Etwas parat haben. Meines Erachtens geht da durchaus auch etwas Vorläufiges, aber das wäre halt erstmal zu klären. Die offenbar von der Ampel-Koalition geplante gesetzliche Regelung, die unter Vorlage eines Bundesregierungsentwurfs unter Federführung des Bundesjustizministeriums vorgelegt werden soll, und die der Bundestag dann, nach dem, was Kolleg*innen aus dem journalistischen Bereich gehört haben, beschließen soll, wäre insoweit wahrscheinlich nicht hilfreich, weil zu spät. Das heißt, es muss schneller etwas passieren, es muss aber gleichzeitig natürlich was Durchdachtes und was Gutes passieren. Ansonsten sagt der Beschluss, dass der Gesetzgeber mit seiner bisherigen Untätigkeit seine Schutzpflicht aus dem Benachteiligungsverbot, das ja erst 1994 ins Grundgesetz eingefügt worden ist, gegenüber den Menschen mit Behinderung verletzt hat. Und da das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber stets einen sehr weiten Handlungs- und Gestaltungsspielraum zubilligt, ist das eine außerordentlich bemerkenswerte Feststellung. Und dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber jetzt dazu auffordert, unverzüglich zu handeln, macht deutlich, der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, der hier entschieden hat, sieht eine äußerst brisante, eine gefährliche Situation. Gefährlich - und das ist jetzt meine Auffassung - in besonderem Maße für Menschen mit Behinderungen, aber auch - und das finde ich wichtig - für die Gesellschaft insgesamt. Wenn nämlich die Behandlungsressourcen zu knapp sein werden, um alle Menschen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, ausreichend zu versorgen, wäre das eine Katastrophe, und zwar - und das nicht nur am Rand bemerkt - auch ein Versagen der Gesundheitspolitik der letzten Regierung. Denn, dass es Pandemien geben kann und vermutlich geben wird, kommt nicht überraschend, sondern ist seit vielen Jahren bekannt und in Fachkreisen auch diskutiert worden. Eine Triage wäre also eine Katastrophe. Wenn aber Menschen mit Behinderungen wegen ihrer Behinderung dabei benachteiligt werden würden, wäre es zudem noch ein schwerwiegendes Unrecht, eine in der Nachkriegszeit beispiellose, weil tödliche möglicherweise, durch Diskriminierung viele Menschenleben fordernde Benachteiligung. Das hätten wir so in diesem Ausmaß noch nie gehabt und deswegen muss es unbedingt verhindert werden. Zurück zum Bundesverfassungsgericht: Das Bundesverfassungsgericht sagt auch recht klar in seinem Beschluss, die fachlichen Empfehlungen der DIVI, also der Gesellschaft für Intensivmedizin, für intensivmedizinische Entscheidungen bei pandemiebedingter Knappheit, auf die in diesem Zusammenhang vielfach verwiesen wird, beseitigen das Risiko einer Benachteiligung nicht. Das ist eine sehr klare Aussage. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar auch dazu geäußert, dass die klinischen Erfolgsaussichten, die sozusagen das entscheidende Kriterium der DIVI sind, nicht an sich verfassungswidrig sind, aber es ist, wenn man die Entscheidung im Zusammenhang liest, eben auch als einziges oder auch nur als wesentliches Kriterium für Triage-Entscheidungen kein Garant für eine verfassungsgemäße Lösung. Diesen Gedanken kann ich hier jetzt angesichts der knappen Zeit leider nicht weiter ausführen, aber das wird an andere Stelle geschehen und es haben ja dankenswerterweise auch schon rechtswissenschaftliche Kollegen und einige Philosophen deutlich gemacht, wo hier grundlegende Probleme liegen. Das heißt, sollte der Bundestag jetzt auf die Idee kommen, im Prinzip eine Regelung zu beschließen, die die DIVI-Richtlinie legitimiert oder sollten sie die DIVI-Kriterien einfach übernehmen und in Gesetzesform gießen, dann wäre das keineswegs im Sinne des Grundgesetzes und gegebenenfalls auch verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht sagt übrigens auch nicht, dass das Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht, gegen das wir uns in der Verfassungsbeschwerde gewandt haben, ein gutes oder auch nur ein wichtiges Kriterium wäre. Es sagt nur, es ist nicht an sich von grundlegend verfassungswidrig. So, was müssen die Parlamentarier jetzt machen? Parlament und Bundesregierung sind nach meinem Verständnis gehalten, dringlich an einem mehrheitsfähigen Gesetzentwurf zu arbeiten, der die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen ausschließt. Das ist sozusagen das entscheidende Kriterium. Dazu sollten sie sich externen Sachverstandes versichern, denn - das muss noch mal klar gesagt werden - Parlament und Bundesregierung haben es bislang versäumt, dem Benachteiligungsverbot Rechnung zu tragen, obwohl die Verfassungsbeschwerde bekannt war, obwohl sich der Bundestag und die alte Bundesregierung, die aber nicht völlig, sondern nur graduell verschieden von der aktuellen ist, mit dem Thema befasst haben, haben sie die Situation verfassungsrechtlich und tatsächlich falsch beurteilt. Das heißt, sie sind nicht die großen Experten, die jetzt sagen können, "Hey, wir wussten es ja schon immer". Das gilt übrigens auch für Teile der Ärzteschaft, die bis heute die Gefahr der Benachteiligung glauben dadurch bannen zu können, dass sie glaubhaft versichern, wir wollen gar keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, das ist nicht unser Ziel. Darauf kommt es aber gar nicht an. Benachteiligung setzt bekanntermaßen - zumindest bekanntermaßen für uns - keinen Vorsatz voraus und das Abstellen auf so vorurteilsbelastende Skalen wie die klinische Gebrechlichkeitsskala oder die ECOG-Kriterien ist an sich schon diskriminierend, denn es signalisiert, dass, wer sich nur Zitat ECOG "begrenzt selbst versorgen kann" oder Zitat Gebrechlichkeitsskala "bei der Körperpflege komplett auf fremde Hilfe angewiesen ist", in Priorisierungskonstellationen, in denen es ums Überleben geht, zurücktreten muss, um Menschen ohne diesen Assistenzbedarf Platz zu machen. Deswegen sind wir der Meinung, dass hier etwas ganz Anderes gemacht werden muss und dass dieses ganze Thema "allgemeiner Gesundheitsstatus" beispielsweise überhaupt kein Thema für die Kriterien sein darf. Das gilt umso mehr, als unser Gesundheitswesen aufs Ganze gesehen alles andere als inklusiv und barrierefrei oder auch nur barrierearm ist. Auch das ist seit Langem thematisiert, aber es ist ganz klar, diese vergangenen Probleme werden sich in einer Triage-Situation, wenn dem nicht entschieden vorgebaut wird, dramatisch zuspitzen. Deswegen müssen jetzt Menschen mit Behinderung und ihre Organisationen eingebunden werden, und zwar schon in die Beratung der Gesetze und sinnvollerweise nicht nur als eine Gruppe von vielen in einer einmaligen Anhörung, sondern als Expert*innen in die laufende Arbeit an einem Gesetz. Es wird ja vermutlich und sinnvollerweise ein Gesetz geben, auch wenn das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung von Benachteiligungen verlangt hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn die anwesende Abgeordnete und ihre beiden Kollegen dazu etwas sagen und das unterstützen würden. Es wird natürlich für eine sinnvolle Regelung auch medizinischer Sachverstand benötigt, aber mir erscheint die diskriminierungsrechtliche Expertise hier eindeutig wichtiger. Meines Erachtens muss als Minimum gewährleistet sein in einer Regelung, dass ein Triage- Gesetz insoweit nicht hinter das Transplantationsgesetz zurückfällt, das ja auch die Verteilung überlebenswichtiger Ressourcen regelt. Dort ist die besondere Dringlichkeit der Behandlung ein Auswahlkriterium, das der Erfolgsaussicht gleichrangig zur Seite steht. Dringlichkeit und Erfolgsaussichten sind aber gerade keine Synonyme, sondern beschreiben ein Spannungsverhältnis. Oft werden die Patient*innen, bei denen eine Transplantation am dringlichsten erscheint, die Kränkesten sein, bei denen die Erfolgsaussichten im Vergleich zu anderen eher niedrig sind, und trotzdem haben sie einen Anspruch auf Behandlung. Es geht jetzt erst mal nicht nur um Verteilungskriterien, sondern auch um strukturelle Verfahren. Zum Beispiel gibt es in einer zeitlich engen und drängenden Triage-Situation Menschen in einer Klinik, die sich mit gehörlosen Menschen in Gebärdensprache gut verständigen können, oder sind dort Menschen, die in der Lage sind, mit Menschen mit kognitiven und sprachlichen Beeinträchtigungen angemessen zu kommunizieren? Auch ein "Mehr-Augen-Prinzip" (auch ein etwas diskriminierender Begriff) ist nur sinnvoll, wenn die "Mehr-Augen" auch mehr und anderes wahrnehmen als ein Arzt alleine. Es sollten also Menschen, Sozialarbeiter*innen, Ethiker*innen, Ärzt*innen oder sonstige Expert*innen mit Behinderungen einbezogen werden. Diversität wäre für die Entscheiderin der sicherste Schutz vor diskriminierenden Entscheidungen. Das sind jetzt nur einzelne Hinweise, die aber zeigen, wie die Diskussion sich orientieren muss. Erstens, zweitens und drittens darf es überhaupt keine Triage geben, auch keinerlei verdeckte übrigens. Viertens aber kommt es auf diskriminierungsfreie und der Diskriminierung entgegenstehende Prozeduren und Kriterien an. Das bedeutet viel Verantwortung für den Gesetzgeber, aber auch viel Kooperationsbereitschaft für diejenigen, die an den Entscheidungen beteiligt sind, und das sind eben nicht ausschließlich Ärzt*innen und Pflegekräfte, sondern auch ganz vorrangig die möglichen Patient*innen, insbesondere die, die Gefahr laufen, benachteiligt zu werden aufgrund ihrer Beeinträchtigung, die als Komorbiditäten und gebrechlich gesehen und interpretiert werden und zu tödlichen Konsequenzen führen können. So viel als Einleitung. Vielen Dank für Ihre Geduld.

Arnade

Ja, danke Oliver! Eine kurze Nachfrage: Das Bundesverfassungsgericht hat von "unverzüglich" gesprochen. Könntest du dir eine Sofortmaßnahme vorstellen, die der Gesetzgeber sofort erlassen oder unternehmen sollte?

Tolmein

Na ja, er muss ja also... Nein, eine Sofortmaßnahme, die er morgen machen kann, wird es wohl nicht geben. Es könnte ein Statement geben. Ein Statement gerichtet beispielsweise an die Entscheider*innen in den Kliniken das sagt, eure Erfolgsaussichten und beispielsweise euer Ansatz der ex-post-Triage, also Leute, bei denen eine Behandlung begonnen wurde, wieder runterzunehmen und ähnliches, die sind so nicht akzeptabel. Merkt euch das schon mal! Weil das Problem ist ja, dass die Ärztinnen und Ärzte hier immer noch davon ausgehen, das, was sie tun, ist an sich unangreifbar und muss auch unangreifbar bleiben. Das ist ein ganz gravierendes Problem. Da könnte ein Signal hilfreich sein.

Arnade

Okay, danke schön für diese Einführung. Sehr schön.

Arnade

Jetzt müsste ich fragen, ob Nancy Poser schon da ist. Sie ist Richterin am Amtsgericht Trier und hatte um 14 Uhr noch einen wichtigen Termin. Ah, sie ist da, wunderbar. Gut, dann begrüße ich ganz herzlich Nancy Poser, eine der Beschwerdeführer*innen in Karlsruhe und schön, dass du Zeit hast für uns, und ich gratuliere auch dir ganz herzlich zu diesem tollen Erfolg. Wir haben uns geeinigt, dass Nancy Poser kein Statement halten wird, sondern wir uns unterhalten im Frage-Antwort-Modus. Nancy, dann erkläre doch erst mal, warum ihr die Beschwerde eingereicht habt, was waren eure Gründe dafür.

Poser

Also, wir haben damals 2020 diese DIVI-Leitlinien zur Kenntnis genommen und waren eigentlich entsetzt davon, weil uns direkt klar war, nach diesen Kriterien haben wir alle keine Chance, danach werden wir aussortiert und egal, ob dann der Satz drinsteht, wir benachteiligen keine Behinderten oder nicht. Effektiv hätten diese Kriterien, wenn sie angewendet worden wären, in dieser Form dazu geführt, dass wir aussortiert worden wären. Und dann haben wir überlegt, was wir dagegen tun können, weil in dem Moment, wo man im Krankenhaus im Bett liegt, und dem ausgeliefert ist, kann man natürlich gar nichts mehr tun. Man kann aber gegen diese Leitlinien nicht klagen, weil die DIVI ist ja keine staatliche Behörde oder ähnliches. Das ist ja eine private Vereinigung. Das heißt, dagegen klagen war nicht möglich und wir dachten dann, ja aber Moment mal, da muss uns doch dann der Gesetzgeber davor schützen, das kann doch so nicht bleiben, da haben wir doch aus dem Grundgesetz Rechte, gegen diese Benachteiligung vorgehen zu können. Und deshalb haben wir den Weg der Verfassungsbeschwerde gewählt, um den Gesetzgeber dazu zu bringen, uns zu schützen.

Arnade

Ja, und es hat ja lange genug dauert, eineinhalb Jahre fast, bis das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss gefasst hat. Ist der denn jetzt in deinem Sinne oder wie beurteilst du den?

Poser

Also, erstmal es ist natürlich ein riesiger Erfolg...

Arnade

Ich kann dich im Moment nicht mehr hören, dein Mikro ist aus. Kannst du dein Mikro wieder einschalten? Oder Frau Brose, können Sie Frau Posers Mikro wieder einschalten?

Arnade

Also irgendwie hat sich das System ausgeschaltet. Deshalb werden wir jetzt mit Günter Heiden fortfahren.

Arnade

Ich hoffe, der ist spontan genug, um das mitmachen zu können und sie alle auch, dass sie diesen plötzlichen Programmwechsel ohne Schwierigkeiten überstehen. Ich freue mich jedenfalls jetzt, Günter Heiden vom Netzwerk Artikel 3 begrüßen zu können. Ihr habt mit anderen Organisationen ja schon ganz früh den Runden Tisch "Triage" ins Leben gerufen. Kannst du bitte erläutern, warum ihr das gemacht habt und welche Erfahrungen ihr mit dieser Initiative gesammelt habt.

Heiden

Ja, vielen Dank, ich bin so spontan, genauso wie wir damals den Runden Tisch gegründet haben. Und warum war das so? Also wir vom Netzwerk Artikel 3 haben natürlich auch die Berichte aus Italien zur Triage verfolgt und waren empört, ähnlich wie Nancy es eben gesagt hat, als wir die Empfehlungen der medizinische Fachgesellschaft gelesen haben und haben deshalb noch im März letzten Jahres zusammen ISL eine Stellungnahme erstellt mit der Kernaussage, Behinderung darf kein Kriterium bei der Triage sein. Aber wir wollten mehr. Wir wollten, dass sich nicht nur Intensivmediziner*innen und Mensch- und Medizinrechtler*innen an der Debatte beteiligen, sondern wir wollten die Debatte in die Breite tragen. Und da nur wenige Wochen später der 05.Mai, der regelmäßige Protesttag für Gleichstellung behinderter Menschen und gegen Diskriminierung anstand, haben wir Verbündete gesucht und dann haben wir pünktlich zum 05.Mai dann mit der Liga Selbst Vertretung, Caritas Behindertenhilfe Psychiatrie und mit dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen die Online-Diskussionsplattform www.runder-tisch-triage.de gestartet. Und da sich heute so viele Menschen angemeldet haben, will ich noch kurz ein Wort zu den 3 doch sehr unterschiedlich strukturierten Organisationen sagen, da vielleicht nicht alle sie kennen. Die Liga Selbstvertretung ist ein Zusammenschluss von 13 bundesweit tätigen Selbstvertretungsorganisationen, die von behinderten Menschen selbstverwaltet geführt und gelenkt werden. Und das Netzwerk Artikel 3 ist ein Mitglied dort. Dann der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie ist ein Fachverband mit über 1100 Mitgliedseinrichtungen im deutschen Caritasverband. Und dann noch das Forum behinderter Juristinnen und Juristen, das ist ein partei- und verbandsübergreifender Zusammenschluss von Juristinnen und Juristen, die als Richter*innen, Rechtsanwält*innen oder Verbandsjurist*innen gearbeitet haben oder noch arbeiten. Und unser Bündnis hat sich damals im Mai 3 Ziele gesetzt: Erstens wollten wir eine breite gesellschaftliche Diskussion des Ethikdilemmas von Priorisierungsentscheidungen anstoßen. Zweitens haben wir den Deutschen Bundestag aufgefordert, nicht länger zum Thema „Triage“ zu schweigen und unser Format des Runden Tisches auch für seine Meinungsbildung zu nutzen. Und drittens ging es uns um die Entwicklung von menschenrechtlich und verfassungsrechtlich begründeten Prinzipien als Grundlage solcher Priorisierungsentscheidungen. Und im Diskussionsforum können verschiedene bereits vorgeschlagene Themen diskutiert werden, es können auch neue Themen angelegt werden und es können auch weitere Organisationen oder Initiativen dem beitreten. Zu unserem Runden Tisch konkret: Es gibt auch eine Downloadmöglichkeit von wichtigen Basisdokumenten und über 60 Links zur aktuellen Berichterstattung, die wir bereits von März 2020, wo Abilitywatch sich geäußert hat, wo es halt die Verfassungsbeschwerde gab, bis zum Dezember 2021 kann man dort die ganze Diskussion oder eine große Breite der Diskussion verfolgen. Und wir haben denn 7 Themen eingestellt, zu denen man diskutieren kann. Ich nenne sie mal kurz: So, welche menschen- und verfassungsrechtlichen Grundlagen sind bei solchen Entscheidungen zu beachten. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen dazu vor. Wer trifft überhaupt die Priorisierungs- oder Triage-Entscheidungen in so einer Notfallsituation. Was bedeuten die Begriffe "Dringlichkeitsprinzip" oder "klinische Erfolgsaussicht". Eine ganz wichtige Frage: Gibt es überhaupt diskriminierungsfreie Beurteilungsinstrumente. Wie kann die Menschenwürde gewährleistet sein und welche Rolle zum Beispiel Patientenverfügungen spielen können. Zu jedem Thema haben wir bereits Basisinformationen, die doch recht detailliert sind, schon eingestellt und hoffen dann auf Beiträge dazu. Unsere Erfahrungen und das...man merkt, das sind doch recht anspruchsvolle Themen und in einer ersten Bilanz müssen wir sagen, dass sich die erhoffte aktive Diskussion noch sehr zögerlich gestaltet hat und das liegt unseres Erachtens sind zwei Punkten: Zum einen ist die Problematik wirklich sehr komplex und es haben sich in der allgemeinen Diskussion vor allem die bereits angesprochenen Medizinrechtler*innen und Intensivmediziner*innen heftigen Dispute geliefert. Wer mag sich da als Laie schon groß einmischen. Und zum anderen wurde von manch großen Organisationen der Zivilgesellschaft auch, und gerade im Behindertenbereich betont, man solle überhaupt gar nicht über die Triage reden, um den Betroffenen keine Angst zu machen. Das halten wir für falsch. Geheimnistuerei macht Angst, das Gegenteil ist richtig. Wir müssen uns mit den Fakten vertraut machen und dann müssen wir uns gezielt und selbstbewusst einmischen nach dem werten Motto "Nichts über uns, ohne uns". Der Runde Tisch hat sich von daher zu einer Leseplattform entwickelt. Die Themen und die Linksammlung haben jeweils zwischen 3.000 und 5.000 Abrufe und das größte Interesse liegt beim Thema "Wer trifft die Priorisierungsentscheidungen in einer Notfallsituation", über 5000 Abrufe. Und da die Thematik so schwierig ist, hat das Netzwerk Artikel 3 im März letzten Jahres eine kleine Online-Broschüre in einer leicht verständlichen Sprache unter dem Titel "Was Sie über die Triage wissen müssen" erstellt und diese Broschüre mit kleinen Zeichnungen ist auch bei den Links auf der Seite des Runden Tisches zu finden. Zu unseren Perspektiven: Nach der positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gilt es nun aus unserer Sicht auch unverzüglich mit der Mitwirkung im politischen Prozess zu beginnen. Ich habe mich deshalb für den Runden Tisch bereits an die relevanten Ministerien und Bundestagsabgeordneten mit der Bitte um Partizipation gewandt. Bislang noch ohne Antwort. Und nach der heutigen Veranstaltung wollen wir gerne zusammen mit anderen Organisationen eine abgestimmte Position für die Diskussion erreichen. Für mich persönlich ist - erstmal ohne Anspruch auf Vollständigkeit und teilweise stimme ich da mit den Aussagen von Oliver Tolmein schon überein - Folgendes denkbar: Ich habe das in Negativ- und in Positivkriterien einmal aufgeteilt. Und meine Negativkriterien wären auch sehr schnell umsetzbar. Zum einen auch ein gesetzliches Verbot der ex-post-Triage oder meinetwegen eine Kommunikation wie Oliver Tolmein auch sagte. Dann auch durchgreifende Maßnahmen gegen eine Triage vor der Triage, also gegen Vorgehensweise wie zum Beispiel das Landratsamt Tuttlingen Einrichtungen aufgefordert hat. Ich denke, das ist bekannt. Ebenso denkbar wäre auch die Verfügung einer Nichtanwendung der Gebrechlichkeitsskala. Großbritannien etwa hat das schon gemacht. Und dann könnte man auch die angewandten Scores relativieren, der SOFA-Score, der grundlegende Parameter des menschlichen Körpers, der Funktionsweise der Organe misst und der beim Menschen mit Beeinträchtigungen durchaus unterschiedlich sein kann anders als der Durchschnitt. Der müsste auch für das intensivmedizinische Personal relativiert werden. Als Positivkriterien sind mir wichtig: Entwicklung von menschenrechtlich basierten Kriterien für ex-ante-Triage- Situationen und auch eine ad-hoc-Information des Intensivpersonals. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung auch darauf hingewiesen, wie wichtig eine Weiterbildung ist. Man könnte aber schon eine erste Schnell-Informationen machen. Dann auch eine Ausdehnung des sogenannten Mehr-Augen-Prinzips auf die betroffenen Angehörigen. Schweden macht das zum Beispiel so, hat das so verfügt. Und last but not least, auch anschließend an Oliver, die Einbeziehung behinderter Expert*innen in den Pandemierat beziehungsweise Krisenstab ähnlich wie in Kanada. Das wäre es von meiner Seite kurz zum Runden Tisch und wir freuen uns, wenn doch eine breite Beteiligung stattfindet. Vielen Dank erstmal.

Arnade

Ja, danke schön, Günter, für diesen Einblick in die Arbeit des Runden Tisches "Triage".

Arnade

Ich sehe, das Nancy jetzt wieder akustisch mit uns verbunden ist. Ich fürchte, das waren möglicherweise die Leute von der DIVI, die dich abgestellt haben. Wollen wir es nicht hoffen! Was auch immer es war, wir waren bei der Frage, wie du den Gerichtsbeschluss beurteilst und ob er so in deinem Sinne ist.

Poser

Der Gerichtsbeschluss ist natürlich erstmal insoweit in unserem Sinne, als dass das Gericht ganz klar herausgestellt hat, dass es so eben nicht geht. Uns wurde ja von der Politik immer signalisiert oder von weiten Teilen der Politik signalisiert, dass doch alles bestens ist, wenn die Ärzte das einfach entscheiden und die DIVI-Richtlinien seien doch auch super. Und das hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar festgestellt, dass das eben nicht reicht, dass wir da auf jeden Fall tatsächlich benachteiligt sind und dass Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Das war sehr wichtig. Was auch sehr wichtig war, für uns als Behindertenbewegung auch insgesamt, dass das Bundesverfassungsgericht auch die UN-BRK herangezogen hat, wo auch wahrscheinlich einige Politiker - so ist zumindest mein Eindruck manchmal - noch immer nicht mitbekommen haben, dass sie existiert. Und insofern war das Urteil auch sehr, sehr wichtig. Und ja, also dass das Bundesverfassungsgericht nicht dazu da ist, jetzt dem Gesetzgeber genau die Schritte vorzugeben, was er zu tun hat, ist ja nur logisch. Wir haben eine Gewaltenteilung in Deutschland, das wäre schlimm, wenn das Gericht das Gesetz schreibt. Das war nicht Sinn der Sache und das war uns klar, dass jetzt die Diskussion wirklich losgehen kann. Aber sie kann losgehen und das hat uns natürlich sehr zufrieden gemacht mit dem Urteil.

Arnade

Ja, prima! Es gab ja eine heftige Medienresonanz da drauf, wie hast du das empfunden?

Poser

Ja, ich fand es gut, dass die Medien darüber berichtet haben, dass das eben nicht einfach im Verborgenen so gehandhabt werden kann, dass irgendwelche Menschen mit Behinderung, alte Menschen, Menschen, bei den anderen denken, ihr Leben sei nicht mehr Wert gerettet zu werden, wie auch immer, heimlich, still und leise irgendwo aussortiert werden und keinen interessiert es. Sondern es ist tatsächlich in der Gesellschaft jetzt angekommen und das ist ein Thema, das die Gesellschaft interessiert und was die Gesellschaft als Gesamtgesellschaft auch interessieren muss.

Arnade

Und bist du jetzt schon...

Poser

Jetzt verstehe ich dich nicht mehr, also jetzt bist du gemutet. Jetzt bist du auch lautlos.

Arnade

Okay, jetzt bin ich nicht mehr lautlos. Bist du schon angefragt worden oder weißt du von den anderen Beschwerdeführenden, ob jemand schon angefragt worden ist, jetzt auch eben bei der Gestaltung der sofortigen Maßnahmen, der sofortigen Vorkehrungen, die getroffen werden sollen nach Willen des Bundesverfassungsgerichts, mitzuwirken?

Poser

Also ich habe von einer Partei eine Anfrage tatsächlich für eine Vorbesprechungsrunde und eine Anfrage, die allerdings noch nicht konkret ist, aus Richtung Bundestag.

Arnade

Und weißt du es von den anderen, ob da irgendwelche Anfangen kamen?

Poser

Soweit ich weiß, nicht.

Arnade

Und was wäre deine Vorstellung von einer guten Partizipation? Also die UN- Behindertenrechtskonvention ist ja unter diesem Motto "Nichts über uns, ohne uns" verhandelt worden und da steht ja implizit auch mit drin im Text. Was wären deine Vorstellungen von einer guten Partizipation der Betroffenen?

Poser

Ja, wie das vorhin schon gesagt wurde, ich hoffe nicht, dass es eine Anhörung in irgendeinem Ausschuss gibt und das war es dann, wo dann vielleicht ein Betroffener sprechen kann. Sondern es gibt verschiedene Selbstvertretungsorganisationen, die da mit ins Boot geholt werden müssen. Und ich hoffe ganz ehrlich, dass sich das nicht nur auf die Wohlfahrt beschränkt.

Arnade

Ja, danke schön. Möchtest du uns noch irgendetwas mitgeben jetzt für die weiteren anderthalb Stunden?

Poser

Ja, also, was tatsächlich mir ganz wichtig ist, ist, dass der weitere Prozess nicht nur zwischen Medizinern entschieden werden darf. Ich habe immer so den Eindruck, auch in der Bevölkerung ist wohl dieses weitverbreitete Denken, dass man sagt, gut die Ärzte müssen es am Ende entscheiden und da haben wir ja gar nicht die Ahnung von, die werden schon das alles richtig machen. Das ist eben keine medizinische Frage in erster Linie. In erster Linie ist es mal eine gesellschaftliche Frage und eine juristische und eine ethische und soziale Frage und erst wenn die Vorfrage geklärt ist, wie wollen wir das überhaupt entscheiden und wollen wir das tatsächlich so machen wie die Mediziner das vorschlagen, nämlich, dass wir immer die Schwächsten abschneiden. Erst wenn wir der Meinung sind, dass wir das so wollen, dass das alles so richtig ist, dann dürfen die Mediziner. Wenn wir ein anderes System haben möchten, dann müssen wir das erstmal entscheiden als Gesellschaft. Und die Mediziner können nur medizinische Fragen beantworten. Das ist, glaube ich, ist dieses Bild da ein bisschen schief gerückt worden.

Arnade

Okay, danke Nancy Poser für dieses klare Statement.

Arnade

Gut, meine Damen und Herren, liebe Zuhörende, wir kommen jetzt zu der zweiten Mentimeter-Abfrage. Wir würden nämlich gerne wissen, was empfinden Sie beim Thema „Triage“. Sie können jetzt wieder entweder mit dem QR-Code oder mit dem Link oder mit dem Mentimeter oder über den Chat einfach ihre Emotionen eintragen und das können wir dann wie so eine Wort-Wolke sehen, welche Emotionen werden besonders häufig genannt. Währenddessen, während Sie das tun, werde ich Sie schon vorbereiten auf das, was jetzt als Nächstes kommt. Nämlich, es geht um Ihre Fragen aus dem Chat. Ich hoffe, Sie haben die alle mit einer Raute gekennzeichnet, damit die Janina Bessenich von der Caritas Behindertenhilfe Psychiatrie eben es leicht hatte, eben die Fragen auch herauszufiltern und sie für uns eben zu clustern und gleich zu uns rüberzubringen beziehungsweise zu den Referentinnen und Referenten. Aber jetzt sehen wir erst diese Wort-Wolke auf diese Mentimeter-Abfrage, was eben Sie empfinden bei dem Thema „Triage“. Und ich sehe hier ganz dick, also am häufigsten genannt, steht da das Wort "Angst", sehr häufig "Unsicherheit" ist auch sehr groß, "Wut", "Sorge", "Diskriminierung", "Ungerechtigkeit", "Benachteiligung", "Hilflosigkeit", "Unsicherheit". Andere Dinge sind weniger häufig genannt, aber das sind so die herausragenden Dinge. Und ich hoffe, dass dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und was hoffentlich jetzt daraus folgen wird, diese negativen Emotionen, die dort genannt sind, auch etwas reduzieren kann. Also die Angst und Sorge und Hilflosigkeit reduzieren kann und zu weniger Diskriminierung führt. Danke für die reichliche Beteiligung und die schnelle, spontane Beteiligung an unseren Mentimeter-Abfragen. Ich war ja unsicher, ob das alles so schnell klappt, aber das ist ja ganz hervorragend.

Arnade

Gut, dann kommen wir zu unseren Fragen aus dem Chat. Janina Bessenich, du hast für uns den Chat beobachtet. Was ist dir aufgefallen, welche Fragen gibt es?

Bessesnich

Ja genau, hallo Sigi, herzlich willkommen an alle, die jetzt hier Fragen gestellt haben. Es gab sehr viele Fragen, deswegen danke schön und ich habe versucht, das so ein bisschen zu clustern. Die häufigsten Fragen gingen um die Beteiligung von Menschen mit Behinderung. Aber zunächst die grundsätzliche Frage, die gleich kam, und vielleicht kann Frau Poser das beantworten: Bedeutet Triage grundsätzlich Diskriminierung? Das wäre so die erste Frage und dann die weiteren Fragen beziehen sich eher auf den Vortrag von Herrn Tolmein. Und zwar, ich sage das jetzt gleich, da kann er dann überlegen, während Frau Poser antwortet. Und zwar einmal: Die Beteiligung der Menschen bei diesen Mehrheitsentscheidungen beziehungsweise bei diesen Entscheidungen über die Triage. Und dann tatsächlich, wie wirkt sich jetzt das Urteil auf den Umfang der gesetzlichen Entscheidung aus? Wird da nur über Triage entschieden oder - es wäre natürlich sinnvoll, das waren die Anregungen aus dem Chat - dass auch die Vortriage erfasst wird? Also die Vortriage in dem Sinne, dass Menschen mit Behinderung schon gar nicht ins Krankenhaus aufgenommen worden sind, weil sie zum Beispiel keine Assistenz-Personen hatten. Oder wie wirkt sich das auf die stille Triage aus in dem Sinne, dass bestimmte Behandlungen und Operationen auch verschoben worden sind, weil die Kapazitäten freigehalten worden sind. Das ist ja an Herrn Tolmein zu dem Umfang und Auswirkungen des Urteils, aber zunächst, genau Frau Poser, die Frage, bedeutet Triage Diskriminierung?

Arnade

Ja, Nancy bitte.

Poser

Also Triage bedeutet erstmal immer grausam. Das ist das Erste. Egal, nach welchem System und das macht es, glaube ich, auch so schwierig. Aber wenn man dann über Triage an sich spricht, muss das nicht Diskriminierung in dem Sinne bedeuten. Denn ich kann natürlich chancengleiche Verfahren wählen, das geht natürlich. Ich kann sagen, wer zuerst kommt, ist da, oder ich kann losen, oder ich kann irgendein anderes Zufallsprinzip nehmen. Ich kann das natürlich so regeln. Was ist eben nicht erleichtern wird, ist die Grausamkeit der Triage. Weil egal, warum ich jetzt ausschalte, ist es natürlich immer für einen Menschen, der keine Ressourcen bekommt, bedeutet das das Todesurteil. Und das ist das einfach unvorstellbar. Das kann man, glaube ich, gar nicht fassen wirklich und deshalb ist das natürlich immer unaussprechlich, immer unvorstellbar und man will sich damit auch gar nicht beschäftigen. In dem Fall kann ich also sagen, es geht benachteiligungsfrei, das kann man regeln, es geht diskriminierungsfrei, gut ist es deshalb noch lange nicht.

Bessenich

Danke schön, ich glaube, das reicht, vielen herzlichen Dank. Herr Tolmein genau, Sie hatten diese umfangreiche Frage, wie wirkt sich das Urteil jetzt aus und wie - das war auch die Anregung der Teilnehmer - wie können wir darauf hinwirken, dass nicht nur die Triage, sondern auch Dinge wie die Vortriage geregelt werden?

Tolmein

Es ist grundsätzlich schon schwierig, Dinge zu regeln, die an sich schon gesetzeswidrig sind. Denn wir haben ja im Prinzip ein funktionierendes SGB 5 im Normalfall (mehr oder weniger funktionierend) und des SGB 5 kennt weder eine stille Triage noch eine Vortriage, sondern sagt, wir haben ein Behandlungsanspruch und der ist auch nirgendwo eingeschränkt worden, also in bestimmten Beschlüssen des gemeinsamen Bundesausschusses. Insofern ist es, denke ich, wichtig, dass in den gesetzgeberischen Beratungen man dazu kommt, festzustellen, hier läuft parallel zu dieser Diskussion "Triage" etwas schief und wir müssen da noch mehr einbeziehen. Gleichzeitig ist es ja so, dass, wenn wir jetzt auf eine echte Triage zu laufen und diese Gefahr besteht zumindest realistisch, brauchen wir auch Tempo in dieser ganzen Diskussion. Deswegen denke ich schon, dass man gucken muss, zuerst sich klar zu werden, was kann man in Sachen der Triage machen, damit das benachteiligungsfrei geschieht und dann die Fragen der Vortriage und der stillen Triage wahrscheinlich möglicherweise in einem zweiten Schritt zu klären. Man kann sich auch überlegen, ob man gesetzgeberische Ideen hat, das ist aber jedenfalls schwierig, weil die Leistungsansprüche, die existieren ja. Was die Menschen selber machen können, ist: Naja, kontaktieren Sie Ihre Abgeordnete, Ihren Abgeordneten. Beteiligen Sie sich an so was wie dem Runden Tisch und eventuellen Initiativen. Und ich meine, die Behindertenbewegung, die ich jetzt ja auch schon seit ein paar Jahren kennen - nämlich ziemlich genau seit ja 41 Jahren - die hat ja schon einige Aktionen mal auf den Tisch gestellt oder umgesetzt. Und ich glaube möglicherweise, wenn jetzt das zum Beispiel so weiterläuft, wie sich das in den Worten von Nancy Poser und ja auch in meinen Erfahrungen andeutet, dass die Politik sich in erster Linie an die Ärzteschaft wendet, um mit denen zusammen sozusagen von nicht-behinderten Experten zu nicht-behinderten Experteninnen und Politik zu klären, wie machen wir denn das jetzt, dass wir die Behinderten nicht diskriminieren. Wir fragen sie nicht selber, das ist ja vielleicht unangenehm oder gibt irgendwie Krach oder ich weiß nicht, was. Dann gibt es ja Möglichkeiten der außerparlamentarischen Aktionen. Ich glaube, so wie das beim Bundesteilhabegesetz passiert ist und erforderlich war, so ist es auf jeden Fall bei einer Triage-Regelung erforderlich. Parallel dazu muss man eventuell natürlich auch überlegen, ob man gerichtliche Schritte machen kann. Das war ja der Sinn einer Gesetzgebung. Gegen die DIVI-Richtlinien können wir schlecht rechtlich vorgehen, gegen ein Triage-Gesetz, das unzureichend oder falsch ist, können wir schon. Das ist nicht einfach, aber da gibt es Möglichkeiten.

Bessenich

Vielen herzlichen Dank! Jetzt wurden im Chat mehrmals die Fragen gestellt, genau sollten nicht auch die Angehörigen bei der Triage-Entscheidung eine wichtige Rolle spielen? Also es war die Frage nach den diversen Mehrheitsentscheidungen, das haben Sie, Herr Tolmein, in Ihrem Beitrag gesagt, wie können die entstehen? Sollen die Betroffenen selbst nicht darüber vorab irgendwie entscheiden, und dann die Frage, wie sollen die Angehörigen beteiligt werden? Viele Fragen, ich weiß.

Tolmein

Ich versuche es ganz schnell zu machen: die Betroffenen selber, also die Angehörigen, die werden natürlich... Na also, wenn wir die Vorstellung haben, wir haben dort einen Menschen mit Behinderung, wir haben möglicherweise Kommunikationsprobleme, alles Mögliche. Also die werden in irgendeiner Art und Weise sowieso häufig irgendwie einbezogen sein. Die DIVI will das ja auch. Die sagt, die sollen sich mal die Frage stellen, wie ist eigentlich der mutmaßliche Wille. Vielleicht wollen ja gar nicht behandelt werden. Ich würde sagen, ja, vielleicht will der aber auch behandelt werden oder die will behandelt werden. Also die spielen natürlich als Vertreter und Vertreterinnen und Unterstützer und Unterstützerinnen von ihren Angehörigen eine ganz wichtige Rolle. In der Triage-Entscheidung selber da würde ich Angehörige, glaube ich, nicht so gerne daran beteiligen, und zwar zu ihrem eigenen Besten. Denn ich meine, was sollen Angehörige da machen? Sollen Angehörige sagen, ja ne, also wenn das so ist, dann bin ich doch dafür, dass jetzt nicht behandelt wird. Das können sie nicht ernsthaft sagen. Sie müssen dafür kämpfen, dass ihre Angehörigen einbezogen werden. Das würde ich versuchen. Es gibt manchmal so Entscheidungen, an denen sollte man - auch damit man was dagegen machen kann unter Umständen - nicht selber beteiligt sein. Das fände ich relativ problematisch. Ich will noch ein ganz kurzen...nein, das wäre es dazu.

Bessenich

Ja, danke schön! Sigi, ich weiß jetzt nicht, ob ich jetzt noch Zeit habe oder weißt du wegen der Zeit? Noch eine halbe Minute. Noch eine halbe Minute, dann mache ich noch eine kurze Frage: Was heißt "unverzüglich", Herr Tolmein? Sie haben vorher gesagt...

Tolmein

"Unverzüglich" heißt sofort, ins Wort fallen, eigentlich gestern. Also jedenfalls verstehe ich nicht, warum die Telefonleitungen noch nicht heiß laufen bei Nancy Poser, vielleicht auch bei Sigi, oder Herrn Heiden oder auch gelegentlich bei mir. Dass die Politik sagt, ja wir machen das jetzt mal so in unserer Routine, wir machen einen Referentenentwurf der Bundesregierung und wir gehen dann mal in den Ausschuss und gucken da mal und dann dauert das alles lang. Ich verstehe, dass die Politik im Augenblick viel Stress hat, aber das ist tatsächlich ein vorrangiges Problem, die Inzidenzen steigen, also in Hamburg sind wir jetzt bald bei 800. Berlin 1200. Und wir wissen, dass das zeitversetzt in den Krankenhäusern ankommt. Insofern, im Augenblick reden wir noch relativ gelassen, wir könnten auch anders, aber es ist unzureichend, ganz klar. Wobei überstürzte Entscheidungen sind natürlich manchmal noch schlechter als keine. Das muss man sich auch klar machen.

Bessenich

Danke, Herr Tolmein. Aber bis hierhin war es ja so, wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, weil der Gesetzgeber nicht gehandelt hat. Genau. Also nicht handeln, ist ja auch falsch. Ich glaube, jetzt haben wir schon keine Zeit mehr, aber wir werden das weiter fortsetzen später.

Arnade

Ok, ich glaube, es ist verstanden worden. Danke schön erstmal bis hierher an die Referentinnen und Referenten bis hierher.

Arnade

Jetzt kommen wir zur Politikerrunde und ich sehe, ja wunderbar, schon zwei von den drei Eingeladenen, Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/die Grünen, und Hubert Hüppe, den ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Wir haben noch einen dritten eingeladen, Jens Beeck, der sich teilhabepolitischer Sprecher der FDP nennt, der hat aber noch eine Veranstaltung wahrscheinlich bis 16 Uhr und wird erst später hinzukommen. So dass es erst mal eine Fragerunde an euch beide, Corinna und Hubert, wird. Also ich habe schon gesagt, wer von Anfang an dabei war, weiß es, dass wir uns schon lange kennen und deshalb auch duzen. Das ist jetzt kein moderner Kram, sondern das ist so gewachsen. Und an alle noch mal: Wenn Sie Fragen haben an die Politikerin und den Politiker, können Sie das in den Chat schreiben. Janina Bessenich beobachtet den Chat für uns und wählt Fragen aus. Und am besten, Sie setzen eine Raute davor, damit sie das erkennen kann, weil es kommen ja alle möglichen sonstigen Kommentare oder auch bilateralen Kommunikationen im Chat sonst auch. Also Raute und Frage an die Politikerinnen und Politiker und gegen halb kommt dann noch mal eine Fragerunde. Aber nun erst mal an euch beide:

Arnade

Ihr kennt ja den Beschluss vom Bundesverfassungsgericht. Da steht drin, der Gesetzgeber soll unverzüglich aktiv werden und Vorkehrungen gegen Diskriminierung treffen. Gibt es schon einen Zeitplan dafür, beziehungsweise wie sehen eure Vorstellungen dafür aus? Corinna vielleicht als Erste, ladies first.

Rüffer

Ja das ist nett, also dann wird hier auf Höflichkeit Wert geleg., Hallo allerseits und vielen Dank erstmal für die Veranstaltung. Soweit ich sehe, jetzt die erste, die zumindest in so einem großen Rahmen zu dem Thema stattfindet und ja. Also die Teilnehmerzahl zeigt ja auch, wie sehr uns das Thema allen unter den Nägeln brennt. Und wenn ich darf, Sigi, darf ich auch noch 3 Sätze zu meiner Einschätzung sagen und was eigentlich in den letzten anderthalb Jahren passiert ist? Also Arne hat am Anfang gesagt, dass der Gesetzgeber mutmaßlich davon ausgegangen sei, dass Menschen mit Behinderungen gut genug für den Fall einer Triage, einer Verknappung intensivmedizinischer Ressourcen, geschützt wären, und dem würde ich zumindest im Verlauf der Pandemie widersprechen wollen. Also ich habe tatsächlich eine andere Motivationslage bei vielen der Politikerinnen und Politiker in Berlin wahrgenommen und nicht nur bei denen, sondern ehrlicherweise muss man sagen, war das auch weit verbreitet bei den Verbänden, die so ein bisschen das Gefühl suggeriert haben, wenn wir nicht drüber sprechen, dann besteht da auch kein Problem, ja. Und es ist gerade schon von anderer Seite gesagt worden, es ist vielfach mit dem Argument hantiert worden, wenn wir darüber sprechen, dann machen wir Menschen Angst. Und ich meine und meine das schon ganz lange, dass wir Menschen damit Angst machen, dass wir über Probleme nicht reden, die da sind, und dementsprechend diese Probleme auch nicht regeln. Und wir haben jetzt unheimlich viel Zeit vertan als Gesetzgeber, die wir eigentlich gebraucht hätten, um sorgsam zu einer Entscheidung kommen zu können. Wir hatten eine Anhörung im Gesundheitsausschuss, wo wir eine totale Dominanz hatten von Medizinerinnen und Medizinern, die mit ihrer bestimmten Sichtweise auf dieses Thema geblickt haben, wo gar keine Repräsentation behinderter Menschen selbst stattgefunden hat und das Thema sozusagen auch ein bisschen beiseitegeschoben wurde. Also genau vor einem Jahr ungefähr haben wir uns zum ersten Mal ernsthaft vor Augen geführt, dass tatsächlich es eine Masse an Menschen gibt, die an Corona erkranken und gar nicht mehr in die Krankenhäuser eingeliefert worden sind. Also wir haben ja damals die RKI-Zahlen gesehen und haben gesehen, 60 oder 70 Prozent kommen gar nicht mehr in die Krankenhäuser, kommen nicht auf Intensivstationen und damals hat Karl Lauterbach bei Maybrit Illner so einen Satz verloren, der mich sehr irritiert hat, und bis heute auch noch sehr irritiert, nämlich: Wenn die alle kommen würden, dann wären die Intensivstation in der Tat geflutet und wir müssen uns jetzt auf andere Personengruppen konzentrieren, auf die Baby-Boomer mit allen ihren Vorerkrankungen. So, das heißt also, dass die Problematik bekannt gewesen ist, dass man aber politisch gesagt hat, wir sehen trotzdem keinen Bedarf, darüber zu entscheiden. Und was noch nicht angesprochen wurde, ich aber total wichtig finde: Es geht nicht nur um die DIVI-Kriterien, sondern es geht auch, finde ich, an dieser Stelle auch noch mal um den Deutschen Ethikrat, der ja dann Schützenhilfe geleistet hat mit seinen damaligen ad-hoc-Empfehlungen, nämlich eindeutig gesagt hat, der Gesetzgeber könnte solche Empfehlungen gar nicht oder solche Leitlinien gar nicht verabschieden, weil das über die Grenze des verfassungsrechtlich Regelbaren hinausgehen würde und deswegen überlassen wir das den Privaten, solche Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen. Und das wäre spätestens der Zeitpunkt gewesen, wo aus meiner Sicht eine politische, aber auch gesellschaftliche Debatte so wichtig gewesen wäre. Aber da wollten sich irgendwie die Wenigsten damit sozusagen die Finger verbrennen. Und jetzt kann man nur sagen, Halleluja, Gott sei Dank gibt es das Bundesverfassungsgericht, das sozusagen sich offensichtlich ernsthaft mit der Problematik auseinandergesetzt hat, wenn auch sehr spät, also die haben sich offensichtlich viel Zeit gelassen. Und wir sind jetzt sozusagen in mindestens einer der heißesten Phasen dieser Pandemie so, also es gibt die Möglichkeit, dass wir tatsächlich in eine Überbelegung der Intensivstation hineinlaufen. Umso dringlicher wird es jetzt natürlich, zur Regelung zu kommen, aber wir sind, finde ich, immer ganz schwierig...

Arnade

Jetzt bist du eingefroren gewesen eben gerade, Corinna.

Arnade

Ich glaube doch, dass die DIVI uns hier irgendwie dazwischenfunkt, wenn ihr das nicht passt, was hier gesagt wird. Aber wir überbrücken wieder. Hubert, du hast das Wort. Du warst auch jetzt zwischendurch mal Leiter vom Gesundheitsausschuss des Bundestages, bist da immer noch drin. Wie ist denn die Diskussion oder die Vorstellung vom Zeitplan oder was jetzt gemacht werden sollte bei deinen Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss?

Hüppe

Also, bisher gibt es halt noch keine Diskussion, zumindest im Ausschuss selber. Ich habe aber sofort beantragt, dass es ein Fachgespräch geben soll, und zwar wollte ich das eigentlich schon in der nächsten Sitzung haben. Ich habe aber gehört, dass es da Probleme gibt mit den anderen Ob-Leuten. Also die CDU/CSU- Fraktion würde gerne eigentlich schon nächste Sitzungswoche dieses Gespräch führen. Ich habe übrigens...Nancy Poser hat ja gesagt, sie wäre von einer Partei angesprochen, das war ich sozusagen. Ich habe natürlich auch gleich deutlich gemacht, dass ich es für wichtig halte, dass eben auch Menschen mit Behinderung dabei sind und das sollte jetzt so schnell wie möglich gehen. Wir werden nicht federführender Ausschuss sein. Aber ich denke, dass gerade in dem Gesundheitssystem eine ganze Menge Dinge eine Rolle spielen und deswegen würde ich sofort dieses Gespräch machen. Also ich glaube, dass dieses Urteil, zu dem ich all denen, die da geklagt haben, und allen, die sie unterstützt haben, noch mal echt gratulieren möchte, weil das echt eine tolle Sache ist. Das ist, glaube ich, in den letzten Jahren einer der größten Erfolge der Bewegung von Menschen mit Behinderung und ich glaube, dass dieses Urteil allein schon gewisse Wirkung hat. Das jetzt schon jemand im Krankenhaus, wenn es denn dazu käme, aufmerksamer würde, weil tatsächlich - ich habe mir auch noch mal diese DIVI-Leitlinien dort angeschaut - die sind einfach gefährlich für Menschen mit Behinderung, aber nicht nur für die. Zweitens, was ich aber auch noch einmal deutlich machen würde, ich glaube dieses Urteil wird auch andere Menschen betreffen, nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern, dass keiner diskriminiert werden darf. Ich glaube, das ist ziemlich deutlich, dass auch alte Menschen nicht diskriminiert werden dürfen, natürlich auch nicht Migranten oder andere diskriminiert werden dürfen. Und dass das nicht ganz selbstverständlich ist, das zeigen ja zum Beispiel die Richtlinien, die es in Italien gibt. Da gibt es zum Beispiel auch das Kriterium, wie viele Lebensjahre man denn rettet. Also nicht, wie viele Menschen man denn rettet, sondern, wie viele Lebensjahre man denn rettet. Das heißt, da wäre zum Beispiel jemand mit Muskeldystrophie eher heraus als jemand, der so eine Erkrankung nicht hat. Und das ähnelt schon sehr auch der Euthanasie. Und einen weiteren Punkt, den ich noch mal deutlich machen würde, ist, es darf nicht dazu führen, dass wir jetzt sagen, jetzt haben wir aber eine Triage-Regelung, die ist auch richtig super, also müssen wir eigentlich auch nichts mehr machen. Sondern die wichtigste Aufgabe von Politik ist, dass wir versuchen, dass es nie zu einer Triage-Entscheidung kommt. Bisher - Gott sei Dank - ist es ja auch noch nicht dabei gewesen. Und einen Punkt muss ich doch noch zusätzlich machen und es wird eben nicht nur Covid sein, sondern es wird alle Dinge betreffen, die da mal kommen können, ob es jetzt mal ein, ich weiß nicht, großes Erdbeben oder sonst irgendwas wäre, aber auch zum Beispiel jetzt in der jetzigen Situation werden natürlich auch die Patienten mit einbezogen, die vielleicht, weil eben durch Covid-Betten oder Atemgeräte, die besetzt sind, sie benachteiligt werden könnten, die müssen natürlich mit in die Entscheidung einbezogen werden. Und das wird eine schwierige Sache. Wofür ich kämpfe, ist, dass eben die Betroffenen immer beteiligt werden und keine Regelung getroffen wird gegen die Betroffenen. Und wenn Herr Tolmein sagt, eigentlich müssten die Telefone schon heiß laufen, also ich habe den Herrn Tolmein gestern Abend noch angesimst, und habe auch schon am Freitag mit ihm am Telefon gesprochen. Also ich habe meinen Beitrag zum heißen Telefon schon geleistet. Letztes: Ich habe gerade eben im Chat gesehen - das finde ich eine recht gute Idee - da wurde beantragt, dass auch jemand als ein Selbstvertreter von Menschen mit Behinderung im Expertenrat sein sollte. Ich finde, das wäre eine richtig, richtig gute Sache, denn was in den letzten, gerade am Anfang von der Covid-Geschichte gelaufen ist, was da in Einrichtungen gelaufen ist, auch in Psychiatrien gelaufen ist, das waren unheimlich schlimme und schwierige Dinge. Und da wäre es gut gewesen, man hätte auch die Perspektive der Betroffenen da mit eingebracht.

Arnade

Ja, danke schön Hubert. Vielleicht noch mal, du sagtest, der Gesundheitsausschuss ist nicht der federführende, welcher ist es denn?

Hüppe

Also ich gehe davon aus, dass Justiz es wird. Und das ist ja auch die Frage - müsste ich auch nochmal mit Herrn Tolmein telefonieren - wo soll das denn geregelt werden? Soll es im Strafrecht geregelt werden, soll es beim Patientenvertrag geregelt werden, soll es zum Beispiel bei der Notstandsregelung geregelt werden, das ist ja ganz schwierige Geschichte. Und dann ist ja eben nicht nur die Frage über die Entscheidung, sondern wichtig ist - das hat das Bundesverfassungsgericht ja auch gesagt - die Kontrolle der Entscheidung. Ja was nutzt mir, dass ich eine klare Richtlinie habe, was schon schwierig ist, wenn wir als Politiker ärztliche Richtlinien formulieren sollten, da würde ich die Finger von lassen. Aber wichtig ist ja auch, dass es kontrolliert wird, und da gibt es verschiedene Vorschläge. Ich habe von Herrn Tolmein gelesen "Ethikrat". Aber das stelle ich mir auch ein bisschen schwierig vor. Bis der Ethikrat mal zusammengetreten ist, eine Entscheidung getroffen hat und die dann 4 zu 3 ausgeht, ist auch vielleicht nicht die praktikabelste Lösung. Und was ganz wichtig ist, dass wir die Länder mit ins Boot nehmen, wenn es um die Fortbildung des medizinischen Personals geht. Damit die auch wissen, ich darf keine Entscheidung nach Gutdünken machen, oder eine Werte-Entscheidung, welches Leben mehr Wert und weniger Wert hat, und auch das gehört mit in so ein Gesetz.

Arnade

Ja, danke schön. So, jetzt frage ich mal Corinna Rüffer, ob sie wieder da ist.

Rüffer

Ja Sigi, ich hoffe. Bin ich wieder da?

Arnade

Ich höre dich, ich sehe dich noch nicht. Kannst du dein Video anschalten?

Rüffer

Ich habe gedacht, ich lass das mal aus. Also komischerweise, ich war die ganze Zeit hier und es hat funktioniert, aber eben nicht mit laufender Kamera, also vielleicht ist Stimme wichtiger als Bild.

Arnade

Du warst ja mitten dabei, weißt du noch, wo du warst?

Rüffer

Ich weiß natürlich nicht, ab wo ihr mich nicht mehr gehört habt. Also ich habe sozusagen noch mal den Ethikrat, den deutschen Ethikrat, erwähnt mit seinen ad-hoc-Empfehlungen damals und habe gesagt, dass die natürlich auch nicht hilfreich gewesen sind.

Arnade

Genau, das haben wir noch gehört.

Rüffer

Genau richtig und dann wollte ich, glaube ich, zu dem Punkt kommen, den in meiner Erinnerung Oliver Tolmein gemacht hat, der sozusagen das Spannungsverhältnis dargestellt hat zwischen der Vorgabe, jetzt wirklich unverzüglich tätig zu werden, also ohne schuldhaftes Zögern, und auf der anderen Seite der Gefahr aus meiner Sicht, dass eine schnelle Regelung nicht unbedingt gut sein muss. Und mein Eindruck ist, dass sozusagen ein wesentlicher Teil, auch der Regierungsmitglieder, aber natürlich auch des Gesetzgebers, also Parlamentsmitglieder, Abgeordnete sozusagen, sich mit diesem Thema noch nicht tatsächlich auseinandergesetzt haben. Und dass sozusagen ein schnelles Handeln dazu verleiten könnte, dass wir Verfahrensrichtlinien die das Vier-Augen-Prinzip, das schon genannt wurde, und andere Dinge verankern, die im Kern aber nicht wirksam gegen eine Diskriminierung wirken würden. Also ich glaube auch, dass wir eine gesetzliche Regelung bräuchten, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob das sozusagen im Parlament tatsächlich allgemein gut ist. Und deswegen ist es, glaube ich, jetzt ganz wichtig, dass über eine Beschäftigung in einzelnen Ausschüssen tatsächlich die Fraktionen allen Mitgliedern die Möglichkeit geben, sich über das Thema umfassend zu informieren. Wir machen das zum Beispiel: Wir haben so ein Format, fraktionsoffene Abende. Das ist ein internes Format, wo wir Sachverständige, und dazu zählen auch einige Leute, die heute hier sozusagen auf dem Podium anwesend sind, um quasi dafür zu sorgen, dass ein gutes Gesetz am Ende auch mehrheitsfähig wird. Und das sehe ich im Moment noch nicht ohne Weiteres, muss ich ganz ehrlich sagen. Also ich freue mich über das, was das Bundesverfassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat, aber ich glaube, wir müssen ziemlich rödeln, damit es zu einer guten Umsetzung im Sinne behinderter Menschen in diesem Land auch kommt.

Arnade

Danke schön. Ja, das Bundesverfassungsgericht spricht ja von "geeigneten Vorkehrungen". Also das ist die Frage, was es unterhalb der Gesetzesnormen noch sein könnte. Aber noch eine andere Frage: In seiner Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ja auch mehrmals von unbewussten Stereotypen gesprochen, die eine Rolle spielen könnten in einer Triage-Situation, und meines Wissens hat sogar die Bundesärztekammer auch gesagt, es könnte natürlich passieren und dann könnte es zur Diskriminierung kommen. Was könnte eurer Meinung nach, Corinna und Hubert, helfen, diese Gefahr der Diskriminierung durch solche unbewussten Stereotypen zu reduzieren? Corinna vielleicht erst.

Rüffer

Ja also, da ist natürlich unheimlich viel zu machen. Also das Bundesverfassungsgericht spricht ja an, dass es unbedingt Fortbildung von Medizinerinnen und Medizinern geben muss. Also das ist mein Eindruck, seitdem ich im Deutschen Bundestag vertreten bin. Dass im Gesundheitsausschuss - Hubert, du kannst mich korrigieren - aber die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen eines modernen Behinderungsbegriffes und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht weit ausgeprägt ist. Also das ist, glaube ich, eine ganz große Aufgabe ganz grundsätzlich und in der Triage-Situation zeigt sich dieses Problem natürlich nochmal in ganz besonderer Weise. Was jetzt aber den Fokus in Richtung Gesetzgeber anbelangt, ist, glaube ich, der wichtigste Punkt hier benannt worden. Also wir müssen von Anfang an - und das jetzt auch gebetsmühlenartig wiederholen -, dass Menschen mit Behinderungen selbst in diesem Prozess von Anfang an, und zwar wirksam beteiligt werden müssen. Es reicht eben nicht aus, wenn wir Nancy Poser in den Gesundheitsausschuss -was ich total super finde, Nancy, ja - einladen und dann meinen, daraus resultierend wird dann schon eine ordentliche Regelung auf den Weg gebracht werden. Oliver Tolmein hat, glaube ich, irgendwann gesagt hier in der Diskussion, beim Bundesteilhabegesetz hätte das so gut funktioniert, auch das würde ich nicht ganz so sehen. Also wir hatten eine Beteiligung der Wohlfahrt in diesem Prozess hin zum Bundesteilhabegesetz und vom Ergebnis her muss man sagen, hätte dieses Gesetz anders ausgesehen, wenn behinderte Menschen selber eine maßgebliche Rolle gehabt hätten. Dann wäre weniger die Finanzierungsfrage diskutiert wurden, aus Richtung so einer einrichtungszentrierten Sichtweise. Also ich glaube, das wäre jetzt tatsächlich mal ein Novum, wenn Menschen mit Behinderungen tatsächlich in der Sache, die sie so sehr berührt wie kaum eine andere, tatsächlich wirkungsvoll jetzt von Anfang an mit zunehmend wirksam zu beteiligen. Und das passiert nicht einfach automatisch. Also ich glaube, da haben alle Leute, die ein Interesse daran haben, - Hubert Hüppe, Jens Beeck, der gleich kommt, und ein paar andere - es sind nicht so viele im Parlament ehrlich gesagt - ja, aber ich glaube, wir müssen darauf hin arbeiten.

Arnade

Ja, danke schön.

Arnade

Hubert, du sagtest ja auch schon, es wäre gut, wenn auch im Expertenrat eine behinderte Person wäre. Das haben wir schon lange gefordert, Kanada hat das übrigens bei der Pandemie von Anfang an gemacht, dass die in ihren Krisenstab auch Vertreter von behinderten Menschen genommen haben. Also das wäre wirklich höchste Zeit und wir haben das auch nach der Bundestagswahl sofort gefordert. Leider ist das nicht passiert. Was sind ansonsten deine Ideen, wie könnte solchen unbewussten Stereotypen, die vom Bundesverfassungsgericht ja häufig erwähnt worden sind, wie könnte denen vorgebeugt werden? Unbewusst ist ja unbewusst.

Hüppe

Zunächst einmal bitte ich, mich für den letzten Bundestag nicht in Verantwortung zu ziehen. Aus irgendwelchen seltsamen Gründen hat der Wähler mich da ja nicht in den Bundestag entsendet. Jetzt bin ich ja wieder dabei. Also es wundert mich zum Beispiel, dass gar keine Partei einen Menschen mit Behinderung in dieser Anhörung nominiert hatte. Wenn da eine Ausschusssitzung war, eine Anhörung, hätte jede Partei zumindest ein Vorschlagsrecht und hätte auch einen Menschen mit Behinderung vorschlagen können. Das zeigt, dass offensichtlich in gar keiner Partei im Deutschen Bundestag da das nötige Bewusstsein vorherrscht, von links bis rechts. Und das muss sich auf jeden Fall ändern. So und Punkt 2: Wenn wir von Stereotypen sprechen, dann liegt das daran, dass wir keine Inklusion in diesem Land haben, ja. Wenn alle in getrennten Welten aufwachsen, dann haben wir alle die Probleme, die wir heute haben. So und dann kennt man Menschen mit solchen Behinderungen vielleicht auch nur von irgendwoher. Selbst bei Ärzten - machen wir uns nichts vor - wie viele Ärzte haben denn dann tatsächlich bestimmte Form der Behinderung in ihrer Behandlung? Das kommt auch sehr selten vor und ich sehe ja mit Schrecken, dass wir uns wieder auseinanderleben. Es gab mal nach der UN-Behindertenrechtskonvention gab das wirklich mal einen Schub, aber dieser Schub geht jetzt wieder nach hinten los. Ich merke, dass die Leute wieder getrennt in Schulen gehen, sich Sondereinrichtungen nicht auflösen, sondern immer noch vermehren. Und das führt letztendlich auch dazu, dass so etwas entsteht, dass man eine bestimmte Vorstellung hat und dass man vielleicht sogar diesen Menschen aus dem Weg gehen kann. Also deswegen: Man kann das in Lehrpläne und medizinische Lehrpläne setzen, nur eins ist klar, Inklusion kann man nicht theoretisch jemandem beibringen, sondern die Inklusion kann man nur erfahren. Wenn man das nicht erfährt, wird man es auch nicht lernen. Also das sind so die wichtigen Punkte und deswegen müssen wir wahrscheinlich auch diese Gesetze machen und deswegen müssen wir dies auch konkretisieren. Das heißt, was sind tatsächlich die Kriterien für eine Entscheidung, wer überprüft sie und drittens, wie ich schon sagte, auch die Fortbildung des medizinischen Personals, das sie sich an diese Richtlinien zu halten haben. Und naja, das kann ich jetzt im Moment auch nicht tun. Ich kann nur immer wieder sagen, Corinna Rüffer und ich gehören zwar unterschiedlichen Fraktionen an, sind uns aber darin einig, dass, ich glaube, dass es ziemlich sicher ist, dass wir beide zumindest keine Entscheidung mittragen werden, die nicht auch von den Betroffenen mitgetragen werden. Aber da brauche ich auch die Hilfe. Da brauche ich auch die Hilfe von Oliver Tolmein, da brauche ich auch die Hilfe von Nancy Poser und wer da sonst noch mithelfen kann.

Hüppe

Das höre ich jetzt nicht.

Arnade

Ich habe mich stumm geschaltet, das war dumm. Ja, danke schön. Also ich denke, an der Aktivität oder der Hilfsbereitschaft behinderter Menschen wird es nicht scheitern.

Arnade

Jetzt wollen wir mal hören, welche Fragen im Chat aufgelaufen sind. Janina Bessenich hat wieder den Chat für uns beobachtet und Janina bitte: Was sind jetzt für Fragen an Corinna Rüffer und Hubert Hüppe.

Bessenich

Vielen herzlichen Dank, Herr Hüppe, vielen herzlichen Dank, Frau Rüffer. Zunächst war die Frage, warum Sie nur zu zweit hier drin sind, also warum noch nicht die anderen behindertenpolitischen Sprecher dabei sind? Sigi, das war die erste Frage gleich und dann komme ich noch zu weiteren Fragen.

Arnade

Ok, dazu sage ich am besten direkt etwas. Also Jens Beeck kommt ja noch und die anderen waren einfach nicht so kurzfristig zu haben. Also die Idee zu der Veranstaltung kam Mitte Dezember, ich glaube, nachdem in Karlsruhe das bekannt wurde, als sich das Bundesverfassungsgericht dann auch hingesetzt und schnell den Beschluss gefasst hat. Aber wie auch immer. Jedenfalls waren eben glücklicherweise Corinna Rüffer, Hubert Hüppe und Jens Beeck bereit, hier sich freizumachen und dabei zu sein. Und bei den anderen war das aus terminlichen Gründen leider nicht möglich.

Hüppe

Ich muss aber ergänzen ordentlicherweise, dass ich nicht behindertenpolitischer Sprecher meiner Fraktion bin, was ich gerne geworden wäre, aber es ist dann eine andere Entscheidung getroffen worden. Aber ich werde das Thema deswegen nicht vernachlässigen.

Arnade

Genau, ich habe dich ja auch richtig vorgestellt. Janina, was für Fragen gibt es?

Bessenich

Genau, die Frage war nach dem konkreten Zeitplan. Wir haben schon immer gehört, Sie sagten dabei die Ausschüsse oder so, aber können Sie es vielleicht benennen - bis zu Ostern schaffen wir das. Im Chat wurde ja auch Kritik geübt, dass in der Karnevalswoche keiner Sitzung stattfindet, wo wir alle anderen auf große Veranstaltungen verzichten müssen. Also die Frage, wissen Sie ungefähr so, bis wann Sie zu einer Entscheidung kommen?

Rüffer

Nein, also ich glaube, das kann man im Moment ganz deutlich sagen. Wir wissen das nicht und ich meine auch nicht, dass das an der Sitzungswoche im Februar liegt. Also der Bundestag ist ja jederzeit in der Lage, quasi zusätzliche Sitzungswochen einzuberufen. Also ich glaube, es mangelt nicht daran, dass die Leute zu faul sind oder zu gerne Karneval feiern. Zumal ja eh keiner Karneval feiert seit Jahren, so. Ja, also nicht nach Berlin zu kommen, sondern es hakt an anderen Stellen und ich glaube, was wir brauchen im Moment, sind Räume, wo wir miteinander in Austausch treten können. Also wo Hubert Hüppe in seiner Fraktion und ich in meiner Fraktion mit der Gesundheitsabteilung, mit der Rechtsabteilung in Austausch treten. Wo wir erstmal uns selber eine Meinung bilden. Im Moment wird - das hat Oliver Tolmein vorhin auch gesagt - also das Justizministerium beschäftigt sich mit dem Thema, versucht da was vorzulegen. Aber ich sehe überhaupt noch nicht, dass sich darüber eine Mehrheit generieren lässt, beziehungsweise wenn das der Fall sein sollte, bin ich mir nicht sicher, ob das Ergebnis so sein wird, dass Hubert Hüppe und ich Lust haben, dem am Ende zuzustimmen. Also wir wollen eine Regelung haben, die dafür sorgt, dass auch Menschen mit Behinderung wie jeder andere Mensch, wie alte Menschen, wie alle anderen Menschen in diesem Land die gleiche Chance haben auf medizinische Versorgung. Und davon sind wir im Moment ganz weit entfernt. Und wir müssen uns dann aber, wenn wir das entsprechend regeln wollen, auch schmerzhafte Fragen stellen, weil wir uns im Klaren sein müssen, dass - also ich gehe davon aus, dass ein weit überwiegender Teil auch in der Bevölkerung, das Parlament ist ein Stück weit ein Abbild der Bevölkerung - die Meinung vorherrscht, dass derjenige, der die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hat, dann auch an die Geräte soll. Da gibt es sozusagen einen zuversichtlichen Blick auf die Möglichkeiten der Medizin andererseits, aber eben auch sozusagen die Schwierigkeit anzuerkennen, dass die Erfolgsaussicht im Sinne des Ziels, möglichst viele Menschenleben zu retten, aus unserer Sicht vielleicht gar nicht der richtige Maßstab ist. Und da sieht man, wir diskutieren jetzt schon lange über die Impfpflicht, auch das ist kompliziert, aber die Frage der Triage ist sozusagen noch mal eine andere Nummer, das muss man sich klar machen, weil am Ende niemals ein gerechtes Ergebnis rauskommen wird. Es wird immer ein Ergebnis sein, das zu erheblichem Leid führt. Also es gibt keine schönen Regelungen, aber es muss halt sein.

Bessenich

Vielen Dank, Frau Rüffer.

Hüppe

Vielleicht noch ganz kurz: Ich habe auch bei uns noch mal gefragt im Gesundheitsausschuss. Herr Lauterbach war zwar nicht da, aber die Staatssekretärin hat auch gesagt, dass man schon dabei ist, einen Entwurf zu entwickeln und klar wird das auch ein Regierungsentwurf erstmal sein. Halte ich auch für vernünftig. Denn, wenn man da jetzt darauf wartet, dass es einen Gruppenentwurf gibt, dann dauert das wahrscheinlich wirklich ewig. Sondern die sollen einen Regierungsentwurf machen und daran arbeiten uns ab. Und jeder kann sicher sein, hier auch der zuhört oder mit sieht, dass wir da auch Rücksprache mit den Betroffenen nehmen. Also ich werde auf jeden Fall machen für Corinna Rüffer glaube ich, das auch sagen zu dürfen, obwohl es immer schwierig ist, für andere zu sprechen.

Rüffer

Aber in dem Fall, glaube ich, klappt das.

Bessenich

Die Frage war, Sie haben es ja schon erwähnt, dass im Bundesministerium für Justiz der Entwurf erarbeitet wird. Wie wird dort die Beteiligung von Menschen mit Behinderung sichergestellt? Das war auch eine Frage hier.

Rüffer

Das können wir nicht sagen. Vielleicht kann Hubert Hüppe das beantworten, aber also nach meiner Kenntnis hat es noch keine Gespräche mit den zuständigen Abgeordneten gegeben. Also es ist noch nicht bekannt, jedenfalls mir nicht, wie der Prozess aufgesetzt und gestaltet wird. Deswegen müssen wir auch direkt von Anfang an den Druck erhöhen, dass Menschen mit Behinderung beteiligt werden. Deswegen ist der Vorschlag, jetzt zu sagen, auch im Krisenstab und im Expertenrat sollten umgehend aufgrund - da bin ich überhaupt noch nicht darauf gekommen ehrlicherweise, muss ich zugeben - aber das wäre jetzt etwas, was man in die Diskussion mit einspeisen könnte, um auch ein passendes Signal in Richtung Triage-Regelung zu setzen.

Hüppe

Also normalerweise ist es ja immer so, dass es einen Referentenentwurf gibt und dass danach eine Verbändeanhörung herrscht und da ist es wichtig, dass eben jetzt auch nicht nur der Ärzteverband, der muss auch gehört werden, das halte ich auch für wichtig, weil ...aber dass eben auch die Betroffenenverbände da dementsprechend paritätisch vertreten sind. So ist normalerweise die Regelung. Und da das Bundesverfassungsgericht ja schon Druck macht und sagt, kommt, schiebt das nicht auf die lange Bank nach dem Motto "Wir haben ja sonst noch jede Menge Probleme". Das geht jetzt nicht. Sondern ich denke schon, das muss jetzt in den nächsten Wochen geschehen und das hat mit den kerne Karnevalswochen eigentlich nichts zu tun, da muss jetzt erstmal die Regierung den Referentenentwurf vorlegen/ erarbeiten. Dann vielleicht auch den Bundesrat mit hinzuziehen, das halte ich auch für wichtig, weil ja viele Entscheidungen auch auf Länderebene getroffen werden. Und ich kann nur noch mal auch alle auffordern, sich daran zu beteiligen, auch uns anzusprechen und die Politiker anzusprechen und zu sagen, so das möchten wir noch machen und das möchten wir noch machen. Also ich werde wahrscheinlich - bei uns ist das noch nicht endgültig in der Arbeitsgruppe, jetzt nur CDU/CSU, im Gesundheitsausschuss entschieden - ich habe mich auf jeden Fall beworben, Sprecher für Menschen mit Behinderung zu werden und auch für Bioethik. Aber das betrifft beide Themen, also werde ich da wahrscheinlich auch mit Berichterstatter sein, auch wenn wir nicht der geschäftsführende Ausschuss sind.

Bessenich

Die Frage war jetzt noch ganz konkret, was schlagen Sie für die gesetzliche Regelung vor. Also wir wissen, die Ärzteschaft hat gesagt, naja unser Kriterium ist eigentlich verfassungsgemäß, haben sie sogar auch ihrer Seite der DIVI veröffentlicht. Was sehen Sie inhaltlich bei dieser Regelung, die kommen kann, Frau Rüffer?

Rüffer

Also ich glaube, was man heute schon sagen kann, ist, welche Negativkriterien formuliert werden müssten. Also dass man noch mal ganz präzise klarstellt, Alter, Behinderung, Begleiterkrankungen, die Orientierung an der Gebrechlichkeitsskala, die ja einen ganz wesentlichen Punkt der Kritik ausgemacht hat, dass das nicht sein darf. Ich finde auch, dass die Frage der ex-post-Triage durchaus benannt werden sollte, ja also das eine einmal begonnene medizinische Behandlung nicht abgebrochen werden darf, solange der Mensch noch eine Erfolgsaussicht im Sinne von, er hat eine Chance, dass er geheilt werden kann, hat. Also das sind die Punkte, die man benennen kann. Ich glaube, dass dieser Zeitpunkt jetzt zu früh wäre, tatsächlich positiv formuliert eine Regelung in den Raum zu werfen. Ich glaube, wir brauchen durchaus eine gewisse Offenheit und sind im Moment auch noch nicht an der Stelle, wo wir die Mehrheit der Abgeordneten - wie gerade dargestellt -mitnehmen können. Und da glaube ich, muss man mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl rangehen und ich glaube eben, dass die Art und Weise, wie normalerweise Gesetzesinitiativen laufen im Deutschen Bundestag dieser speziellen Frage also nicht angemessen ist. Wir müssen gucken, dass die einzelnen Fraktionen, dass tatsächlich jeder einzelne Abgeordnete sich mit dieser Fragestellung auseinandersetzen kann, um tatsächlich am Ende auch zu wissen, ob er den Daumen hoch oder runter macht, in welcher Form wir auch immer vorgehen.

Bessenich

Danke schön.

Hüppe

Also ich kann mich dem weitestgehend anschließen, weil je mehr ich mich damit beschäftige, umso schwieriger finde ich auch, es auch in Worte und in Gesetze zu formulieren. Das betrifft auch, wie kontrolliere ich das, ja. Das ist ja auch eine wichtige Frage. Nicht nur zu sagen, was will ich. Denn einiges - hat Oliver Tolmein ja eben schon mal gesagt - ist ja schon geregelt. Ich kann jetzt nicht irgendeinen liegen lassen, weil ich meine, der sei nicht lebenswert. Das wäre heute eigentlich schon strafrechtlich verboten, das könnte unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge oder sonst etwas sein. Dass das verboten ist, da ist ja nur die Frage, wird es denn auch dementsprechend kontrolliert. Also wir können was bei der Kontrolle machen, das steht drin "Mehr-Augen-Prinzip" - Oliver Tolmein hat schon gesagt, das ist schon diskriminierend - aber dass nicht nur einer sich damit beschäftigt, sondern dass ein anderer dem auch zustimmen muss. Dann hat Oliver Tolmein - habe ich gelesen - auch vorgeschlagen, dass es eine Konferenz gibt oder ein Expertengremium. Wenn man das aber immer zusammen holen will, wie gesagt, das hatte ich eben schon mal gesagt, halte ich für schwierig, weil vielleicht nicht zeitig praktikabel. Das dürften ja Ehrenamtliche sein und nicht Leute, die in der Einrichtung selber sind, aber da warte ich wirklich auf den Entwurf und warte ich auch auf die Vorschläge zum Beispiel vom Runden Tisch. Wenn ich da eben zugehört habe, da ja auch noch viele Fragen gestellt werden, aber noch nicht so ganz viele Antworten, wenn ich das auch mal sagen darf, uns Politikern an die Hand gegeben wird, wie sollen wir das denn jetzt machen?

Bessenich

Ja, vielen herzlichen Dank. Ich weiß nicht, Sigi, schau mal, wie die..

Arnade

Ja, Zeit für eine Frage hätten wir noch.

Bessenich

Genau, die Frage war ja hier, was kann die einzelne Person, die jetzt hier zum Beispiel im Chat ist, machen, damit Sie auf der politischen Seite agieren können? An wen sollen die sich wenden? Sie haben es, glaube ich schon gesagt: Bundestagsabgeordneten. Aber sonst?

Rüffer

Ja, aber das ist ja überhaupt noch nicht passiert also in vielen Fällen. Also ich finde, wenn man sich darauf konzentrieren würde, dass die Leute ihre Abgeordneten vor Ort belagern, sich Termine geben lassen, sensibilisieren für das Thema, dann ist das richtig gut. Und wenn auch die Verbände - also es werden ja viele Leute aus Verbänden heute in dieser Veranstaltung auch dabei sein - die haben sich - das habe ich vorhin schon gesagt, aber ich möchte noch mal betonen - auch die Verbände haben sich weit überwiegend nicht mit Ruhm bekleckert. Das sieht man sozusagen an der Trägheit der Stellungnahmen, die zum Verfahren eingereicht worden sind. Der cbp, also Ihr Verband, Frau Bessenich, möchte ich jetzt auch mal ganz, ganz, ganz ausdrücklich loben. Das war so wichtig, dass sie die Vor-Triage, dass Sie die wirkliche Situation der Menschen vor Ort so deutlich gemacht haben. Wenn man das liest, was das Bundesverfassungsgericht dazu schreibt, dann finde ich, kann man sagen, haben Sie einen ganz wichtigen Beitrag geleistet. Aber Sie waren die absolute Ausnahme. Also ich habe von vielen Menschen, die verbandlich organisiert gewesen sind, Enttäuschendes gehört in den anderthalb Jahren. Also jetzt möchte ich sozusagen...über Politik wird viel geschimpft, aber ich möchte es in die Richtung auch mal deutlich sagen, ich hatte mir gewünscht, dass auch die Verbände, die vorgeben, die Interessen behinderter Menschen zu vertreten, dass in so einem Fall wirklich auch tun, sich nicht zurückziehen und einfach sagen, wir wollen den Leuten keine Angst machen. Das finde ich nicht so gut.

Bessenich

Vielen Dank, Frau Rüffer. Ich glaube, ich kann mich dem anschließen, was sie vorher gesagt haben. Manchmal in unserer Gesellschaft gibt es Probleme, aber dadurch, dass man nicht redet, glaubt man, dass man dadurch den Menschen nicht Angst macht. Aber die Probleme existieren weiter und sie verstärken sich sogar, von daher werden wir weiterhin ganz deutlich uns dafür einsetzen, dass die Diskussion wirklich da ist. Ja, Sigi, ich glaube, die Zeit für die Fragen ist jetzt um. Ich möchte jetzt an alle Entschuldigung sagen, die im Chat noch sind, weil wir nicht alle Fragen stellen konnten, aber wir dann die alle aufzeichnen und auch beantworten.

Hüppe

Ich kann auch noch mal sagen, wenn es denn konkrete Vorschläge gibt, bin ich auch sehr dankbar, wenn man sagt, da oder da müsste noch was geändert werden. Und vielleicht nicht nur an die einzelnen Abgeordneten, sondern auch an die Fraktionen im Deutschen Bundestag, egal, welche jetzt, könnte man sich auch noch mal wenden. Auch da ist es wichtig, weil die dann merken, es gibt auch andere Themen außer Impfpflicht, was offensichtlich im Chat auch noch mal groß diskutiert wird. Aber ja, es ist so, da kriege ich tausende von Briefen. Tausende nicht, aber schon eine Menge jetzt. Und bei dem Thema habe ich fast keine Mail bekommen und das muss sich ändern, denke ich.

Arnade

Ok, ja danke schön. Gut, erst mal so weit bis hierher. Vielleicht kommen wir später noch mal dazu, noch mal ein paar Fragen zu beantworten, je nachdem, wie die Zeit fortschreitet.

Arnade

Erstmal möchte ich jetzt Horst Frehe begrüßen als Sprecher vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen und Mitglied des Sprecherrats des Deutschen Behindertenrates. Kannst du uns sagen, wie es aus deiner Sicht jetzt weitergeht, was auf uns zukommt, beziehungsweise was wünschenswerterweise auf uns zukommen sollte. Horst, bitte.

Frehe

Ja, Sigi, mein Bild ist irgendwie nicht zu aktivieren, das müsste der Host machen.

Arnade

Wir hören dich aber, das ist die Hauptsache.

Frehe

Das ist ja wunderbar, das ist wunderbar. Ja ich spreche in dieser Doppelfunktion: einmal als Mitglied des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates, da haben wir leider noch keine Entscheidung getroffen, die hatten noch keine Gelegenheit, ausführlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu diskutieren, aber als Sprecher des Forums behinderter Juristinnen und Juristen, da haben wir uns zusammengetan und haben Eckpunkte formuliert, die ich jedem anempfehle. Insofern, Herr Hüppe, am Schluss der Sendung können wir hier vielleicht... kann ich Ihnen dann auch das zukommen lassen, was wir jetzt ausgearbeitet haben. Für uns ist erst mal wichtig, dass man Triage-Situationen vermeidet. Guck mal, mein Video starten - geht das? Ja, jetzt geht es wunderbar. Das ist das Erste. Das heißt, Triage-Situationen sind immer Situationen, wo Menschen auf der Strecke bleiben, und alles muss getan werden, um dieses zu verhindern. Dazu gehört aber auch die Impfpflicht, dazu gehört, dass eine ausreichende Krankenhausausstattung da ist, dazu gehört die Bezahlung von Pflegekräften und vieles mehr, dass es nicht daran scheitert, dass zwar Betten da sind und Intensivbetten da sind und auch die Geräte da sind, aber es dann am Personal scheitert. Das ist das Erste. Das Zweite ist, man könnte den Bundesverfassungsgerichtsbeschluss dahingehend interpretieren, dass er es ausreichend hält, wenn eine Verfahrensregelung getroffen wird. Das ist unserer Auffassung nicht der Fall. Wir müssen mehr als eine Verfahrensregelung machen, es reicht nicht aus so wie Herr Janssens von der DIVI das gemeint hat, dass...man könnte das Vier-Augen-Prinzip einführen und dann beraten zwei Ärzte miteinander, wer über die Klinge zu springen hat, um es jetzt mal etwas böse zu formulieren. Das steht den Ärzten nicht zu. Sie sind haben diese Kompetenzen nicht, sie haben nicht das Recht dazu, in dieser Weise über Menschen zu verfügen. Sondern das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass der Bundestag Grenzen ziehen muss und im Grunde genommen klarstellen muss mit einem Gesetz, wie mit Menschen mit Beeinträchtigungen umgegangen werden kann, und wie vermieden werden kann, dass sich irgendwelche Vorurteile durchsetzen, die bei den Mediziner - sagen wir mal zu mindestens - so vorhanden sind wie bei der durchschnittlichen Bevölkerung. Und wir können keinesfalls sicher sein, dass, wenn sich zwei Mediziner dann die Köpfe zusammenstecken und dann Entscheidungen treffen, dass wir dann vor Nachteilen als behinderte Menschen dann davon betroffen sind. Ja und wenn wir jetzt mal auf die Entscheidung gucken, dann ist ja klar, das hat das Bundesverfassungsgericht ja deutlich gemacht, dass weder Alter noch Behinderung Kriterien sein dürfen, nach denen entschieden wird. Also ein junger 20-Jähriger muss genauso beurteilt werden wie ein älterer, behinderter Mensch. Beide Leben dürfen nicht miteinander verglichen werden und beide sind gleich wert, sonst sind wir ganz schnell wieder bei Fragen, wer ein lebenswertes Leben hat, und dann sind wir in der Tat in Fragestellungen, die wir in unserer demokratischen Gesellschaft nicht wollen. Das Weitere: Da, wo man auch anknüpfen kann, ist, dass wir, wenn Menschen behandelt werden, es nicht rechtens ist und es nicht gerechtfertigt werden kann, dass, wenn ein jüngerer Mensch kommt, dann ein Behandlungsabbruch erfolgt. Das einzige Kriterium für einen Behandlungsabbruch ist, dass keine Überlebenschance mehr besteht. Und das Bundesverfassungsgericht hat ja die Chancen, die jemand hat, auch gesagt, die Prognose darf sich nur darauf beziehen, ob überhaupt eine solche Behandlung angezeigt ist und ob diese Behandlung zu einem Erfolg führen kann. Wenn kein Erfolg mehr in Aussicht steht, dann, denke ich, kann auch ein Behandlungsabbruch - irgendwann muss das immer passieren - kann das passieren. Aber es darf nicht gegeneinander abgewogen werden. Die Erfolgsaussichten, also womöglich auch, weil man sagt, jemand, der jünger ist, kann länger leben und jemand, der ein alter Mensch ist, oder jemand, der eine Beeinträchtigung hat, lebt nicht so lange, weil er progressive Muskeldystrophie hat oder eine ähnliche Erkrankung, diese Erfolgsaussichten dürfen kein Kriterium sein für eine Entscheidung, ob eine Unterstützung auf der Intensivstation erfolgt oder nicht. Genauso sind die beiden Kriterien, die ja eingeführt worden sind, von dieser Vereinigung der Intensivmediziner, also der DIVI, nämlich die Gebrechlichkeitsskala und so genannten Komorbiditäten. Das heißt also, wenn Menschen verschiedene Erkrankungen haben, diese dürfen kein Kriterium sein für die Ermöglichung einer intensivmedizinischen Behandlung in der Klinik. Welche Möglichkeiten dann in Frage kommen, um das jetzt mal positiv zu formulieren, eine Entscheidung zu treffen, denke ich, wird sich irgendwie an Zufälligkeiten orientieren müssen. Sie wird sich daran orientieren müssen, wer zuerst gekommen ist und deswegen schon einmal behandelt wird und die Beatmungsgeräte zum Beispiel nutzt oder es muss, also "First Come, First Serve", wird das auf Neuhochdeutsch immer gerne formuliert. Oder es muss so etwas ein Losverfahren geben, wenn man nichts Anderes mehr hat. Also irgendetwas in dieser Richtung ist das einzige, wo eine Behinderung nicht als Negativkriterium einschließt und dann Menschen mit Beeinträchtigung dann in eine wesentlich schlechtere Position bringt als andere. Ich wollte noch eins sagen: die Triage vor der Triage. Also das ist mir ein besonderes Anliegen. Wenn einzelne Aktivisten...Nein, Aktivisten sind es ja nicht... aber Verbände meinen, sie sollten Empfehlungen geben und dafür wer zum Beispiel in einem Altenheim oder einer Behinderteneinrichtung ins Krankenhaus kommen sollte, dann finde ich das unglaublich. Dann finde ich, das zeigt wieder einmal, dass es immer noch eine Denkweise bei den Wohlfahrtsverbänden gibt, die unser Selbstbestimmungsrecht und unser gleiches Recht auf Leben nicht ernst nehmen. Das betrachte ich als klaren Verfassungsbruch, so etwas vorzuschlagen, und auch als eine Form, die die Behindertenrechtskonvention ad absurdum führt. Ja, das sind im Wesentlichen die Punkte, die wir erarbeitet haben. Wir kommen zu dem Schluss in unserer Stellungnahme und unseren Eckpunkten, dass wir mit diesen Grenzen, die wir aufgezeigt haben, wir haben es ja überwiegend negativ formuliert, dass es nicht sein darf, dass sie mit diesen Grenzen einen Leitfaden formuliert haben, wie die Gesetzgebung das ausloten könnte. Danke schön.

Arnade

Ja, danke schön, Horst, ganz wunderbar. Und du hast ja auch zwei denkbare Auswege schon mal angerissen: das eine "First Come, First Serve", also wer zuerst da ist, das andere das Losverfahren und das erinnert mich an den Tatort von gestern Abend. Wer den gesehen hat, wurde dort mit einem Napoleon-Zitat konfrontiert, "Der Zufall ist der einzige legitime Herrscher des Universums".

Arnade

Und das führt uns zu unserer dritten Mentimeter-Abfrage, nämlich, sind Sie...

Bessenich

Frau Arnade?

Arnade

Ja?

Bessenich

Darf ich Sie kurz unterbrechen, der Herr Hüppe und die Frau Poser hatten sich gemeldet und wollten was sagen wohl.

Arnade

Ach so, das habe ich nicht mitgekriegt. Die wollen wir kurz zu Wort kommen lassen, auf alle Fälle. Nancy bitte.

Poser

Ja, ich habe gerade im Chat gesehen, dass doch Etliche auch ein Problem mit dem Losverfahren haben. Diejenigen...würde mich mal interessieren, irgendwann auch ins Gespräch zu kommen, was die denn stattdessen vorschlagen würden. Denn ich glaube, das, was einen am Losverfahren abschreckt, ist einfach diese - was ich vorhin schon gesagt habe - dass Triage an sich generell grausam ist, egal, wie ich entscheiden, wer nicht das Gerät bekommt. Es ist immer grausam und ich glaube, das ist das Problem, was die meisten auch mit dem Losverfahren haben. Weil es natürlich nicht rational begründbar ist, aber fänden diese Personen tatsächlich eine Methode besser, wo wir alle behinderten und alten Menschen aussortieren? Was kann man da als Vorteil gegenüber dem Losverfahren sehen? Das ist mir nicht klar und ich glaube, dass man sich tatsächlich auch mal die theoretische Herleitung durchlesen kann. Wir haben im - Horst hat das Papier gerade schon abgesprochen - ein Eckpunktepapier gemacht, das ist auch im Internet abrufbar und der fbjj.de

Arnade

Ja, danke schön, Nancy. Vielleicht zum Losfahren auch noch eine Anmerkung von mir: Ich hatte mal die Diskussion mit einer Dame vom Ethikrat, die mitverantwortlich war für diese erste Stellungnahme, und da ging es dann immer noch mal darum, ja was macht man denn mit 20- oder 30-jährigen, 25- oder 30-jährigen Familienvater auf der einen Seite und einem 80-jährigen Menschen auf der anderen Seite. Ja ist doch klar, der Jüngere. So und dann habe ich gesagt, ja was ist aber, wenn der 80-Jährige Wolfgang Schäuble heißt. Was werden sie dann machen? Ja, nachdem sie sich das gut überlegt hatte, war sie dann auch für Losverfahren. Aber jetzt bitte Hubert Hüppe.

Hüppe

Also ich habe auch ein Problem mit dem Losverfahren, muss ich sagen, aber egal, das wird ja die Gesetzgebung noch ergeben. Aber meine Frage war - ich habe die Punkte nicht gelesen, werde das aber sofort nachholen das Eckpunktepapier - in welchem Gesetz will Horst Frehe das denn jetzt reinbringen? Also es ist ja ziemlich schwierig, reinzubringen jetzt ins Strafgesetzbuch, niemand darf eine Behandlung abbrechen, es sei denn, sie ist absehbar erfolglos. Oder wo soll das drinstehen? Soll das im Strafrecht sein, soll das irgendwo anders sein? Also das wäre für mich erstmal die Frage, damit man überhaupt mal ein Gesetz machen kann. Und dann muss ich noch fragen, ich muss sagen, dass ich ab 16 Uhr - bei mir stand eigentlich sogar nur 15:40 Uhr der Politikerteil - ich muss ab 16 Uhr raus eigentlich.

Arnade

Aber wer kann die Frage von Hubert Hüppe beantworten, in welchem Gesetz das erfasst werden sollte oder umgesetzt werden sollte? Horst vielleicht oder Nancy?

Bessenich

Sigi, ich glaube, Herr Tolmein hat schon vorhin im Chat geantwortet, und zwar, da sind ja mehrere Stellen: also SGB 5 und Strafgesetzbuch. Aber Herr Tolmein, wenn Sie da sind, vielleicht können sie mit ein paar Sätzen das noch ergänzen?

Arnade

Oliver, bist du noch da? Sieht nicht so aus.

Bessenich

Ich glaube, er hatte sich vorhin auch mal verabschiedet. Genau, der Vorschlag war ja, dass an mehreren Stellen zu regeln, weil einmal geht es ja auch um Zugang zur gesundheitlichen Versorgung im Krankenhaus und wie die verläuft, das ist SGB 5. Und die anderen strafrechtlichen Dinge im Strafgesetzbuch. Aber ich glaube persönlich, zunächst müssen wir wissen, was wir regeln wollen, und die Frage, wie, das ist ja dann die zweite Frage. Jetzt hat Horst sich gemeldet, genau.

Frehe

Ich würde...als erstes fällt mir ein das Gesetz, wo jetzt schon massive Grundrechtseingriffe formuliert sind, das Impfschutzgesetz, würde mir als erstes einfallen, wenn es darauf beschränkt wird. Später muss man überlegen, ob man nicht einen breiteren Ansatz wählen kann, aber ich würde jetzt das eher befürworten, um eine schnelle Lösung zu haben, dass wir es im Bundesimpfschutzgesetz verankern.

Arnade

Danke schön.

Arnade

Gut, jetzt ist Jens Beeck zu uns gekommen, ich begrüße Sie herzlich, Herr Beeck, wir haben extra Ihretwegen die Veranstaltung um eine Viertelstunde verlängert, damit Sie auch noch zu Wort kommen können. Das heißt nicht, dass Sie eine Viertelstunde sprechen sollen, so lange durften die anderen auch nicht. Aber immerhin, wir haben ein bisschen Zeit auch für Sie. Was ich Corinna Rüffer und Hubert Hüppe schon gefragt habe zum Teil, diese Fragen gehen jetzt auch noch mal an Sie. Das Bundesverfassungsgericht hat ja gesprochen von "unverzüglichen Maßnahmen", die ergriffen werden sollen. Was verstehen Sie darunter, was plant Ihre Fraktion? Wir haben eben von Hubert Hüppe gehört, dass nicht der Gesundheitsausschuss federführend sein wird, sondern der Justizausschuss wahrscheinlich und das ist ja nun ein FDP-Ressort. Also das Justizministerium zumindest.

Beeck

Umso mehr erstaunt mich das. Mein Stand vom Freitag letzter Woche war, es wäre umgekehrt, aber gut, dass lässt sich dann auch feststellen, ändert im Grunde auch in der Sache nichts, sondern es wird darum gehen müssen, das Urteil umzusetzen. Wobei das Urteil umzusetzen, es ist in einer Frage konkret: Nämlich wir müssen unverzüglich handeln. Frau Dr. Arnade, Sie wissen, ich gehöre zu denen, die schon in den letzten Jahren gesagt haben, das muss einer bundesgesetzlichen Regelung zugeführt werden und kann nicht überlassen bleiben privatwirtschaftlichen Vereinen und Verbänden. Deswegen freue ich mich im Grundsatz über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich hätte mich allerdings noch deutlich mehr gefreut, wenn das Verfassungsgericht die extrem schwierigen verfassungsrechtlichen Fragen, die sich gerade in Deutschland ergeben, etwas mehr ausgeführt hätte. Sie finden in dem Urteil an verschiedenen Stellen den richtigen Hinweis darauf, dass keine andere Verfassung in der Welt so sehr, wie das Deutsche Grundgesetz Leben zu einem absoluten und in keiner Weise zu relativierenden Gut erklärt, mit der Folge, dass bei uns eben auch die Anzahl von Leben keine Kategorie ist. Und es steht im Urteil mehrfach, dass das einer inhaltlichen Regelung im Triage-Gesetz nicht entgegensteht. Und dann kommt immer ein Punkt und es folgen keine weiteren Ausführungen. Das wird aber außerordentlich schwierig sein, weil Sie mit jeder Regelung zugunsten des Einen immer auch eine Regelung zum Nachteil des anderen treffen. Es sei denn, sie gehen im - ich habe gerade hier im Chat gesehen was von Losverfahren oder anderen Fragen - also da sind wir ganz am Anfang der Beratung, was immer unverzüglich aus Sicht des Verfassungsgerichts heißt, die erste Gewalt in diesem Land wird sich die Zeit nehmen, die sie braucht.

Arnade

Was heißt "unverzüglich" aus Ihrer Sicht?

Beeck

"Unverzüglich" heißt, dass wir es dann machen, wenn wir wissen, was wir wollen. Und da legen Sie ja zurecht großen Wert drauf, wird es Gesprächsformate geben, die sich nicht auf die Fraktionen im Deutschen Bundestag beschränken können, sondern die alle Betroffenen mit ins Boot nehmen. Ich glaube, dass wir ein Fachgespräch in Form einer Anhörung oder anderer Form brauchen, bevor wir zu konkreten Formulierungen kommen. Da sind sicherlich alle Verbände in der Eingliederungshilfe mit drin, aber auch noch sehr viele andere. Und das wird sich nicht in zwei Wochen organisieren lassen, insbesondere nicht parallel zur Diskussion über die allgemeine Impfpflicht und parallel zu der Diskussion, die wir ja auch noch haben, aus dem Urteil des Verfassungsgerichts aus Januar 2021 zu der Frage des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben unter auch Einschluss von Assistenz.

Arnade

Wären denn nicht sofort auch einige Sofort-Maßnahmen denkbar?

Beeck

Nämlich?

Arnade

Zum Beispiel Verbot der ex-post-Triage.

Beeck

Ja, das ergibt sich ja quasi aus der...

Arnade

Oder Nicht-Anwendbarkeit der Gebrechlichkeitsskala. Das ist zum Beispiel in Großbritannien verfügt werden.

Beeck

Also ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, hier mit Einzelmaßnahmen vorzupreschen. Wer das Verfassungsgerichtsurteil unmittelbar anwenden will, der kommt ja dazu, dass ex-post-Triage unzulässig ist. Was das in der konkreten Einzelsituation heißt, bin ich gar nicht so ganz sicher. Wenn man das weit auslegt, ist das ein "First Come, First Serve"- Prinzip, das heißt, keine Intensivbehandlung, die begonnen ist, darf abgebrochen werden. Das kann man machen. Dann brauchen wir weitere inhaltliche Fragen nicht zu diskutieren, wenn wir das so machen. Dann machen wir es einfach nach Reihenfolge. Das ist, solange Sie keine großen, katastrophalen Großschadensereignisse haben, möglich, das ist auch in der pandemischen Lage möglich, dann gibt es aber keine inhaltliche Festlegung. Wenn das der Wunsch ist, können wir das relativ schnell umsetzen, das stimmt.

Arnade

Aber es könnten ja auch mehrere behandlungsbedürftige Menschen mit Überlebenschance gleichzeitig kommen. Was machen Sie mit denen?

Beeck

Und das Verbot der ex-post-Triage bedeutet ja im Grunde, der, der ganz zuerst kommt und ja schon behandelt wird, wird weiter behandelt.

Arnade

Richtig, was machen Sie aber, wenn nun 2 oder 5 gleichzeitig kommen?

Beeck

Ja, das ist das Problem. Ich mache da gar nichts, Sie auch nicht und auch der Gesetzgeber am Ende nicht und auch das Verfassungsgericht nicht. Sondern am Ende gibt es die Entscheidung der Ärzte, die ist jetzt schon so, dass sie eine 3-Personen-Entscheidung haben, 2 Mediziner, eine erfahrene Pflegefachkraft, und die treffen diese Entscheidung. Derzeit mit bestimmten Leitplanken etwa, die zu Recht angegriffenen Empfehlungen der DIVI, ein paar andere gibt's auch. Und die ist sehr begrenzt heute durch Dritte nachzuvollziehen im Nachgang. Das soll das Gesetz ändern. Dieses Gesetz muss Leitplanken geben für die Frage, unter welchen Maßnahmen, in welchem Verfahren, aber auch nach welchen inhaltlichen Ausrichtungen die Entscheidung am Ende zu treffen ist. (Wir müssen jetzt nicht darüber reden, dass wir alle der Auffassung sind, es darf dazu gar nicht kommen in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, aber es ist eben auch nicht vollständig auszuschließen und für diesen Fall muss man diese Regelungen treffen.) Und genau darüber werden wir ins Gespräch kommen mit allen gesellschaftlichen Gruppen, die dafür in Frage kommen, und das sind sehr viele. Und dann muss man versuchen, die entsprechenden Regelungen als Leitplanken für die, die am Ende tatsächlich am Bett entscheiden, gesamtgesellschaftlich verträglich auszuarbeiten.

Arnade

Okay, die Frage, die ich Ihren Kollegen, Ihrer Kollegin und Ihrem Kollegen auch noch gestellt habe, war die nach den unbewussten Stereotypen, wie die verhindert werden können. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht ja auch Bezug genommen in seinem Beschluss, dass es immer wieder eben diese unbewussten Stereotypen angesprochen hat. Wie können die vermieden werden, welche Maßnahmen, Vorkehrungen, was auch immer, wären aus Ihrer Sicht sinnvoll, wünschenswert, um solche unbewussten Stereotypen zu verhindern?

Beeck

Da könnte ich jetzt ganz böse antworten, wenn ich auf Ihren Brief eingehe, den sie uns geschickt haben, und Ihre Pressemitteilungen, dann bin ich der allerletzte, genauso wie der Kollege Hüppe und andere, dagegen etwas zu tun, weil Sie ja darauf hingewiesen haben, dass wir im Deutschen Bundestag dem gleichen Stereotypen unterfallen. Wenn das so ist, dann stimmt das vermutlich für die gesamte Gesellschaft, und dann wird man das gar nicht bekämpfen können. Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass wir objektive Kriterien festlegen, die zum Leitfaden für diese Entscheidung werden und das wird im Wesentlichen eine Leitplanke sein, sondern der Gesetzgeber wird nie die Einzelfall-Entscheidung treffen können, sondern das einzige, was wir erreichen, ist mehr Nachvollziehbarkeit und mehr Berücksichtigung individueller Interessen in der Entscheidung durch die Ärzte vor Ort und damit eine Nachprüfbarkeit, die dann an objektiven Kriterien bemessen wird und eben nicht an Stereotypen-Vorstellungen Einzelner. Das ist das Ziel des Gesetzes.

Arnade

Wie ich Sie jetzt verstanden habe, glauben Sie, dass Abgeordnete keine unbewussten Stereotypen haben, dann wären Sie Ausnahmen. Also ich habe welche, das weiß ich, und ich kenne auch...

Beeck

Habe ich auch. Habe ich auch nicht gesagt. Ich glaube, dass wir die alle haben, und deswegen ist die Bemerkung, dass andere die auch haben immer richtig, aber hat auch wenig Inhalt.

Arnade

Ich glaube aber, dass man sie bekämpfen kann und dass man auch dafür sorgen kann, dass solche unbewussten Stereotypen möglichst nicht in so ein Gesetz, oder was auch immer es sein wird, einfließen.

Beeck

Das ist genau das, was ich gerade gesagt habe. Das ist genau das Ziel des Gesetzes. Dass wir von subjektiven Vorstellungen Einzelner, woher sie auch immer kommen mögen und wie ausgeprägt sie auch immer sind, abrücken bei der Frage, wie diese auf Leben und Tod gehenden Entscheidungen getroffen werden. Das ist das Ziel eines Triage-Gesetzes: objektive Kriterien festzulegen und die Entscheidungsfindung nach diesen objektiven Kriterien auch prüfbar zu machen.

Arnade

Ok, dann sind wir uns ja schon wieder mal einig, Herr Beeck. Danke sehr für Ihr Hinzustoßen, für Ihre engagierte Teilnahme.

Arnade

Meine Damen und Herren, wir kommen zum Ende der Veranstaltung. Ich habe mich sehr gefreut, dass so viele Interessentinnen und Interessenten dabei waren, Sie sehen, das Thema "Triage" bewegt viele Gemüter und sollte weiter breit diskutiert werden. Die Technik und die Mitarbeitenden aus dem Büro von Arne Frankenstein sind bemüht, das ganze barrierefrei als Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen auf dem YouTube-Kanal vom Landesbehindertenbeauftragten. Ich bedanke mich beim Landesbehindertenbeauftragten für die Idee und die Initiative zu dieser Veranstaltung. Man munkelt ja, dass das Bundesverfassungsgericht sich dadurch bemüßigt sah, nach eineinhalb Jahren Wartezeit doch endlich mal zu einem Entschluss zu kommen. Ich bedanke mich beim Team des Landesbehindertenbeauftragten für die Organisation, bei Frau Brose und ihrem Team für die technische Unterstützung, bei den Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher*innen, bei den Referent*innen und allen für ihre Aufmerksamkeit. Diskutieren Sie weiter das Thema "Triage", kontaktieren Sie Ihre Bundestagsabgeordneten, lokalen Politiker*innen, diskutieren Sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, sensibilisieren Sie für das Thema, beteiligen Sie sich am Runden Tisch "Triage". Danke schön und ich übergebe für das Schlusswort noch mal an Arne Frankenstein, danke.

Frankenstein

Ja, ganz herzlichen Dank Sigrid Arnade, herzlichen Dank an alle Beteiligten für die anregenden Diskussionsbeiträge, für die klare Perspektive auf das Thema "Nicht-Benachteiligung behinderter Menschen in Triage-Situationen" und die zumindest teilweise auch semi-konkreten Lösungsvorschläge. Für mich sind heute noch mal unterschiedliche Dinge deutlich geworden: Also zum einen das, was vorher eigentlich schon klar war, wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu diesem Thema. Die Verfahrensbeteiligung behinderter Menschen muss aber auch systematisch und mit Blick auf ihr spezifisches Erfahrungswissen von Anfang an berücksichtigt werden. Und letztlich kann auch nur so verhindert werden, dass wichtige Erkenntnisse über Möglichkeiten der Stereotypen-Falschwertung dann auch reduziert werden. Und das bezieht sich nicht nur auf die Lösung von Triage-Fragen, sondern allgemein auf die Frage von Maßnahmen im Corona-Kontext als Zeichen des aktiven Handelns. Der Bundesregierung ist hier ja zum Beispiel vorgeschlagen worden, auch einen Vertreter behinderter Menschen auch in den Experten*innen-Rat zu entsenden. Es sind unterschiedliche Maßnahmen diskutiert worden. Die Antwort auf die Frage, wie eine Triage-Situation zu lösen ist, bleibt aus meiner Sicht schwierig. Aber - und ich finde, das ist auch deutlich geworden - es ist nicht unmöglich und es gibt auch Lösungen, die diskriminierungsfrei sind. Oliver Tolmein und Nancy Poser haben es gesagt: Es muss um rechtliche, ethische und soziale Aspekte gehen und die Maxime der Mediziner*innen, um jeden Preis möglichst viele Menschenleben zu retten, wofür im Triage-Fall dann immer diejenigen mit den besten Erfolgsaussichten zuvorderst zu behandeln sind, die wird aus meiner Sicht und das ist, glaube ich, auch noch mal deutlich geworden, bislang doch viel zu wenig in Frage gestellt. Nach Aussage von einzelnen Teilnehmenden steht sie der Wertung des Grundgesetzes sogar entgegen, nach der Leben gegen Leben nicht abgewogen werden darf. Das heißt, als Kernerkenntnis, finde ich, dieser Veranstaltung nehme ich auch mit, dass diese Frage auch viel weiter in die gesellschaftliche Debatte getragen werden muss und die Frage, ob die klinischen Erfolgsaussichten letzten Endes ein Kriterium ist, das sich dieser Frage dann auch beugt, das muss, finde ich, noch mal ganz ernsthaft angeguckt werden. Und den Vorschlag des FBJJ, den Horst Frehe dargestellt hat, den finde ich auch deshalb gelungen, weil er zugleich möglich macht, auch andere Diskriminierungsrisiken auszuschließen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn diese Position auch noch mal ernsthaft weiter in der Debatte verfolgt wird. Ich will enden mit einem Zitat des Bundesverfassungsgerichts aus dieser Entscheidung, über die wir heute sehr lange gesprochen haben, und die lautet, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme dem Schutzgebot genüge getan werden könnte, ist auf Grundlage der immer Verfassungsbeschwerdeverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht ersichtlich. Das verweist aus meiner Sicht darauf, dass die Herstellung gleichberechtigte Teilhabe eine Daueraufgabe im Gesundheitswesen ist und dass sie deutlich mehr erfordert als die Verabschiedung eines Triage-Gesetzes und das Bundesverfassungsgericht hat Bezug genommen auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu Stereotypen und Benachteiligung im Gesundheitswesen und ich glaube, das kann nicht nur ich sagen, das könnte viele andere behinderte Menschen auch sagen, die kennen sie und umso mehr muss künftig in den Blick genommen werden, dass es diese Stereotypen gibt und auch das ist letztlich ein Ergebnis dieses Fachaustausches, für den ich Ihnen allen noch mal herzlich danken möchte. Und ich glaube, es ist deutlich geworden, es muss jetzt weitergehen und ich glaube, das auch die Botschaft, die von heute ausgeht, mit einer klarer diskriminierungsrechtlichen Perspektive auf behinderte Menschen. Vielen Dank und Ihnen allen noch einen angenehmen restlichen Tag.

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Mentimeter während der Veranstaltung zur Frage - Was fällt Ihnen zu Triage ein?. Die zentralen Worte sind Angst, Unsicherheit, Sorge, Ungerechtigkeit, Hilflosigkeit sowie Diskriminierung.
Foto: LBB

Während der Veranstaltung wurde online folgende Frage gestellt:
Was fällt Ihnen beim Thema Triage spontan ein?
Oben sehen Sie die Rückmeldungen aller Teilnehmer:innen, welche sich an der Abfrage beteiligt haben.

Arne Frankenstein, Landesbehindertenbeauftragter: "Von dieser Veranstaltung geht ein eindeutiges Signal aus: es gibt Lösungen, um Triage-Situationen diskriminierungsfrei zu gestalten. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat hierzu einen Vorschlag vorgelegt, der ein gestuftes Prüfverfahren vorsieht. Dabei eröffnet der Vorschlag die Möglichkeit, auch andere Benachteiligungsrisiken auszuschließen. Hieran werden sich andere Lösungsvorschläge messen lassen müssen. Behinderte Menschen haben die vergangenen zwei Jahre genutzt, um ihre Perspektive auf eine der schwierigsten gesellschaftlichen Fragen zu schärfen. Nun ist es an den Abgeordneten des Deutschen Bundestags ihre Willensbildung auf Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zügig fortzusetzen. Hierfür sollten sie dringend von Beginn an die Perspektive behinderter Menschen aktiv einbeziehen. Ihnen lediglich das Recht einzuräumen, in einem Gesetzgebungsverfahren formal Stellung zu beziehen, greift zu kurz. Die Veranstaltung hat gezeigt: ihre Perspektive auf das Thema ist so zentral, dass sie von Anfang an beteiligt werden müssen. Diesen Geist atmet auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts."

Sigrid Arnade, NETZWERK ARTIKEL 3: "Die Veranstaltung des Landesbehindertenbeauftragten von Bremen zur Triage hat aus meiner Sicht als Moderatorin deutlich gezeigt, dass Triage keine medizinische, sondern eine ethische Frage ist. Mediziner:innen müssen feststellen, ob es mit Therapie, unter Umständen mit Intensivtherapie, eine Chance zum Überleben gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Deutlich wurde auch, dass es keine "Triage vor der Triage" geben darf. Das heißt, dass es nicht wieder vorkommen darf, dass Bewohner:innen von Pflege- oder Behinderteneinrichtungen erst gar nicht ins Krankenhaus gebracht werden, obwohl sie schwer erkrankt sind. Sie dürfen auch nicht vorher zu entsprechenden Verzichtserklärungen gedrängt werden.
Wie auch immer in einer Triage-Situation entschieden wird, es ist immer schrecklich und kann niemals gerecht sein. Wenn aber vermieden werden soll, den Wert eines Lebens über oder unter den Wert eines anderen Lebens zu stellen, so darf nur der Zufall entscheiden. Das vertraten jedenfalls einige der Referent:innen, und es deckt sich mit einem Ausspruch Napoleons: Der Zufall ist der einzig legitime Herrscher des Universums."

Franziska Witzmann & Theresia Degener, Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS): Ein zentrales Ergebnis der Diskussion am 17. Januar: Es besteht dringender Bedarf nach Aufklärung und Bewusstseinsbildung, um Ableismus in politischen und medizinischen Entscheidungen zu bekämpfen.
In diesem Zusammenhang sei angekündigt, dass BODYS in der kommenden Woche ein hilfreiches Instrument zur Bekämpfung von Ableismus zur Verfügung stellen wird: die deutsche Fassung des Berichts der UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte von Menschen mit Behinderungen über die "Auswirkungen von Ableismus in der medizinischen und wissenschaftlichen Praxis". Zum vollständigen BODYS Beitrag

Jessica Schröder, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland
Quelle: kobinet Nachrichten

"Triage-Situationen diskriminierungsfrei gestalten", so lautet der Titel einer Online-Veranstaltung des Landesbehindertenbeauftragten der Freien Hansestadt Bremen, Arne Frankenstein, die am 17. Januar 2022 durchgeführt wurde.

Mit der Veranstaltung ist es dem Landesbehindertenbeauftragten ein Anliegen gewesen, die intensiv geführte Diskussion zur Triage vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aufzugreifen und zu vertiefen. In der zweistündigen Fachveranstaltung ging es insbesondere um die Frage, was der Gesetzgeber nun tun muss, um verfassungsgemäße Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen zu treffen und eine Diskriminierung wirkungsvoll und praxistauglich zu verhindern. Die Brisanz und gesellschaftliche Bedeutung des Themas spiegelte auch die hohe Teilnehmendenzahl wieder. Etwa 350 Personen aus ganz Deutschland folgten der Veranstaltung und brachten ihre Meinung mit Hilfe interaktiver Umfragen und durch zahlreiche Kommentare und Rückfragen an die Referent*innen in die Veranstaltung ein.

Behinderte Expert*innen wie Nancy Poser - Richterin am Betreuungsgericht Trier, Horst Frehe - Richter/Jurist, Vorstandsmitglied der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) und Sprecherratsmitglied des Deutschen Behindertenrat, Günter Heiden - Gründungsmitglied des Netzwerk Artikel 3 und Dr. Sigrid Arnade - Sprecherin für Gender und Diversität der ISL sowie Prof. Dr. Oliver Tolmein - Geschäftsführer der Hamburger Rechtskanzlei "Menschen und Rechte", machten in präzisen und verständlichen Statements eindrucksvoll deutlich, wie behinderte Menschen in einer Triagesituation diskriminiert werden. Desweiteren zeigten sie auf, was das Bundesverfassungsgericht der deutschen Bundesregierung in ihr Pflichtenheft geschrieben hat und wie gesetzliche und verfahrenstechnische Maßnahmen gestaltet werden könnten, damit behinderte Menschen eine gleichberechtigte Chance auf lebensrettende intensivmedizinische Maßnahmen/Geräte erhalten. Die behindertenpolitischen Sprecher*innen Corinna Rüffer (Grüne) und Jens Beeck (FDP) sowie Hubert Hüppe als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages für die CDU berichteten, was die Bundespolitik nun tun kann, um behinderte Personen in einer Triage-Situation gleichberechtigt mit nichtbehinderten Patient*innen zu behandeln.

In seiner Begrüßungsrede betonte Arne Frankenstein, wie wichtig und wegweisend der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ist, der endlich einmal den Geist einer tatsächlichen Gewährleistung von Menschenrechten und einem Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen atmet. Der Beschluss macht deutlich, dass jedes Leben gleichwertig und schutzwürdig ist und dass behinderte Menschen sich darauf verlassen können müssen, gleiche Behandlungschancen wie nichtbehinderte Menschen zu erhalten. Der Beschluss ist zugleich eine Verpflichtung an die Bundesregierung, ihre Fehleinschätzung, dass behinderte Menschen in Triage-Situationen gesetzlich ausreichend geschützt seien, zu korrigieren und zeitnah Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die Ihnen gleiche Chancen in der Verteilung von inntensivmedizinischen Ressourcen zusichern und diskriminierende Auswahlkriterien zulasten behinderter Personen verbieten. Da behinderte Menschen in der Corona Pandemie ohnehin überproportional diskriminiert werden und die Bundes- und die Länderregierungen ein schlüssiges Gesammtkonzept zur Bekämpfung der Exklusion und Benachteiligung vermissen lassen, ist es umso wichtiger, dass diese Veranstaltung dabei unterstützt, dass sich behinderte Menschen einmischen und deutlich machen, dass sie sich auf den Gesetzgeber und die Regierungen verlassen können müssen, damit ihre Rechte auf Leben, Gleichheit und Nichtdiskriminierung, wirksam geschützt werden.

Prof. Dr. Oliver Tolmein betonte, dass es jetzt darauf ankommt, dass der Gesetzgeber behinderte Expert*innen von Beginn an und kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Die Entwicklung eines Gesetzes oder anderer Regelungsmaßnahmen kann nicht allein den Mediziner*innen überlassen bleiben, da sie diejenigen sind, die Auswahlkriterien als Handlungsempfehlungen der Ärzteschaft an die Hand geben, die behinderten Menschen im Vergleich zu nichtbehinderten Personen eine geringere Erfolgsaussicht die intensivmedizinische Behandlung zu überleben/genesen prognostizieren und ihnen im Falle knapper Ressourcen eine Chance behandelt zu werden, verwehrt wird. Auch wenn Mediziner*innen immer wieder betonen, dass sie behinderte Menschen nicht diskriminieren, sind ihre Kriterien unweigerlich diskriminierend und sie sind deshalb wenig geeignet, allein über die Regelungen eines Triage-Gesetzes zu entscheiden. Tolmein plädierte nachdrücklich dafür, neben einer chancengleichen Triage Regelung für alle Menschen, alles daran zu setzen, dass Triage Situationen gar nicht erst entstehen. Wenn Menschen intensivmedizinische Behandlung aufgrund von Knappheit der Geräte, des Personals und weiterer struktureller Barrieren/Faktoren versagt werden muss, ist das ein katastrophales, schwerwiegendes und in jedem Fall diskriminierendes Versagen des Gesundheitssystems. Die fachlichen Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften beseitigen das Risiko einer Benachteiligung nicht und müssen durch andere Kriterien wie beispielsweise das Dringlichkeitsprinzip und Entscheidungsverfahren, die neben Mediziner*innen/Pfleger*innen auch andere Fachrichtungen (Sozialarbeiter*innen) und deren Sichtweisen/Wahrnehmungen miteinbeziehen, ersetzt werden.

Nancy Poser, eine der Beschwerdeführer*innen, feiert den Beschluss als einen großen Erfolg. Sie und ihre Mitstreiter*innen haben den Weg der Verfassungsbeschwerde gewählt, da die Leitlinien der intensivmedizinischen Fachgesellschaften behinderte Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, massiv diskriminieren und sie befürchten müssen, bei Ressourcenknappheit und lebensbedrohlicher Erkrankung nicht behandelt zu werden. Wenn wir erstmal im Krankenhaus sind, können wir nichts mehr tun, und die medizinischen Fachgesellschaften zu verklagen, war nicht möglich. Da die Grundrechte behinderter Menschen aufgrund der intensivmedizinischen Leitlinien massiv bedroht sind, haben sich Nancy Poser und ihre Mitstreiter*innen für den Weg der Verfassungsbeschwerde entschieden, um den Gesetzgeber aufzufordern, endlich aktiv zu werden.

Nancy Poser ist froh, dass das Bundesverfassungsgericht sich in seinem Beschluss häufig auf die UN-Behindertenrechtskonvention beruft und den Gesetzgeber und alle Akteure auffordert, die Rechte behinderter Menschen zu achten und zu schützen. Die mediale Aufmerksamkeit ist hilfreich, das Thema stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken und sich mit den dringenden ethischen und moralischen Fragen auseinanderzusetzen. Nancy Poser verweist darauf, dass eine Triage immer grausam und schrecklich ist, es jedoch Möglichkeiten gibt, eine Triage diskriminierungsfrei zu gestalten, ohne eine Minderheit zu exkludieren und ihr das Recht und die Chance, eine Erkrankung zu überleben, zu verwehren. Sie appelliert an die Teilnehmenden, ihre Abgeordneten und die Bundesregierung zu kontaktieren, sie für die Situation behinderter Menschen zu sensibilisieren und zeitnahes und partizipatives Handeln einzufordern.

Günter Heiden verdeutlichte in seinem Kommentar die Wichtigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem schwierigen und beängstigenden Thema. Um die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu befördern, hat das Netzwerk Artikel 3 gemeinsam mit anderen Behindertenorganisationen, das digitale Format des Runden Tisch Triage gegründet. Hier wird wichtiges Infomaterial gesammelt, Neuigkeiten publiziert und in Foren über Begrifflichkeiten wie Priorisierung, klinische Erfolgsaussicht etc. und ihre Bedeutung für das ärztliche Handeln diskutiert. Die Diskussion hat gezeigt, dass es vielen Menschen und Verbänden schwer fällt, sich kritisch und ehrlich mit dem Thema der Triage auseinanderzusetzen, da das Thema sehr komplex und medizinisch wirkt und befürchtet wird, behinderten Menschen evtl. unbegründet Angst zu machen. Heiden setzt sich für einen ehrlichen und faktenbasierten Austausch zum Thema ein, der die Angst nimmt und gemeinsam im Dialog mit der Politik dazu führt, dass die Politik nicht länger schweigt, aktiv handelt und behinderte Menschen auf Augenhöhe beteiligt. Der Runde Tisch zur Triage möchte eine abgestimmte Stellungnahme mit gesetzlichen und Verfahrensvorschlägen für Triage Situationen entwickeln, die diskriminierungsfreie Kriterien als Gegenentwurf vorschlagen. Als Negativkriterien nannte Heiden Beispielsweise das Verbot von Skalen und anderen Bewertungsinstrumenten, die behinderten Menschen automatisch eine negative Erfolgsaussicht zuschreiben und das Verbot eines Behandlungsabbruchs zugunsten eines neu eingelieferten Patient*in. Positivkriterien wie Weiterbildung und Informationen für Ärzte und Krankenhauspersonal zu behinderungsrelevanten Themen, die Aufnahme behinderter Personen in den Krisenstab und Pandemierat der Bundesregierung sowie längerfristige strukturelle Änderungen in der Finanzierung und Ausstattung des Gesundheitswesens führte Günter Heiden als mögliche Maßnahmen auf.

Im politischen Gespräch bemängelte Corinna Rüffer, dass der Gesetzgeber wertvolle Zeit vertan habe, sich sorgsam und konstruktiv der Problematik der Triage zu widmen und die Abgeordneten für dieses schwierige Thema zu sensibilisieren. Sie ist jedoch überzeugt, dass vielen Politiker*innen innerhalb der Corona Pandemie klar geworden ist, welchen strukturellen Diskriminierungen behinderte Menschen unterworfen sind. Trotz dieses positiven Signals sind behinderte Menschen in Anhörungen und Expertengremien zu gesundheitlichen Fragestellungen überhaupt nicht vertreten, kritisiert Rüffer. Und auch der Deutsche Ethikrat hat durch seine Stellungnahme ein frühzeitiges Eingreifen des Gesetzgebers eher verhindert, da er postuliert hat, dass die Bundesregierung keine Leitlinien verabschieden dürfe, die Verteilungskonflikte intensivmedizinischer Ressourcen regeln, da dies mit der Gefahr verbunden sei, Menschenleben gegeneinander abzuwägen und zu bewerten. Corinna Rüffer appellierte an den Bundestag und die Bundesregierung jetzt zügig ins Handeln zu kommen, dieses jedoch nicht vorschnelle und unreflektierte gesetzliche Regelungen zur Folge haben dürfe. Vielmehr müssen alle Beteiligten für diese schwierige Thematik sensibilisiert und durch Austausch mit behinderten Expert*innen für ihren Auftrag, behinderte Menschen in Triage Situationen wirksam vor Diskriminierungen zu schützen, gestärkt werden.

Hubert Hüppe betonte, dass gut eruiert werden müsse, in welchem gesetzlichen Rahmen eine Triage Regelung eingebettet werden sollte (Strafgesetzbuch, Notstandsgesetz, Sozialgesetzbuch 5, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Auch er plädiert für schnelles und transparentes Handeln das Ministerien und Bundestag unter Hinzuziehung behinderter Expert*innen auf Augenhöhe beteiligt. Rüffer ergänzt, dass Verfahrensregeln allein, die Diskriminierung im Kern nicht verhindern werden und eine ehrliche Auseinandersetzung mit möglichen Auswahlkriterien dringend geboten ist. Hubert Hüppe sieht unbewusste Vorstellungen von der Lebensqualität und Lebenswirklichkeit behinderter Menschen, die ärztliches Handeln negativ beeinflussen können, vor allem darin begründet, dass behinderte und nichtbehinderte Menschen immer noch viel zu oft in getrennten Welten aufwachsen und leben. Er unterstrich seine Gedanken mit der Aussage, dass man Inklusion nur praktisch erfahren und nicht theoretisch erlernen könne. Hüppe vermutet, dass das Bundesministerium der Justiz an einem Gesetzentwurf arbeitet.
Corinna Rüffer bemängelt, dass sich viele Verbände kaum bis gar nicht zur Thematik geäußert haben und sie eine starke und hörbare Interessenvertretung sehr vermisst hat. Sie ist der Ansicht, dass ein gängiges Gesetzgebungsverfahren mit Referentenentwurf einer Anhörung und einer Parlamentsdebatte diesem schwierigen Thema nicht gerecht werden wird. Räume des Austausches, Sensibilität und das Zulassen kontroverser Ansichten sind in solch einem Prozess wesentlich.

Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat ein Eckpunktepapier erarbeitet, dass die verfassungsrechtlichen Fragen einer Triage behandelt und Lösungsvorschläge für ihre praktische Ausübung skizziert, die unter breiter Beteiligung diskutiert und ins Gesetzgebungsverfahren miteingebracht werden sollten.

Das Papier macht noch einmal deutlich, dass Leben nicht gegeneinander abgewogen werden dürfen und jedes Leben gleichwertig ist. Das Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht darf nur insoweit Anwendung finden, dass nur diejenigen keine intensivmediziinische Behandlung erhalten, bei denen keinerlei Lebenschance durch die Behandlung gerettet zu werden, mehr besteht. Alle anderen haben grundsätzlich das Recht auf eine Behandlung. Hier kann nur mit wert- und diskriminierungsfreien Mitteln, wie dem Losverfahren oder dem Prinzip, wer zuerst da ist, bekommt das noch verfügbare Intensivbett, eine zufallsbasierte Entscheidung getroffen werden. Außerdem müssen Negativkriterien aufgelistet werden, die keinesfalls in einer Triagesituation Anwendung finden dürfen. Hierzu gehören Alter, Behinderung, Vorerkrankungen, zu erwartende weitere Lebensjahre und Lebensqualität nach überstandener Krankheit und ein grundsätzliches Verbot von unfreiwilligen Behandlungsabbrüchen. Das Papier verwahrt sich gegen jegliche Vortriage und verurteilt aufs schärfste Maßnahmen, die alte und behinderte Menschen eine Aufnahme auf eine Intensivstation verweigern oder sie gezielt unter Druck setzen, ihr Recht auf Leben und Gesundheit zugunsten vermeintlich fitterer Patient*innen nicht in Anspruch zu nehmen.

Jens Beeck betonte, dass der Gesetzgeber sich die Zeit nehmen wird und muss, solch tiefgreifende Fragen ausreichend zu reflektieren, um zu Lösungen zu kommen, die objektiven Kriterien unterliegen, die diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Momentan sind viele brennende Themen wie Beratungen bzgl. einer allgemeinen Impflicht, gesetzliche Regelungen zum assistierten Suizid und eben auch eine diskriminierungsfreie Triage, die dringend angepackt und gelöst werden wollen.

Fazit: Die unglaublich informative und ehrliche Veranstaltung hat gezeigt, wie dringend sich die Politik endlich als handelnder Gesetzgeber miteinbringen muss, der die Rechte behinderter Menschen achtet und ernst nimmt und sie so mit Leben füllt, dass behinderte Menschen eine faire Chance auf den Erhalt intensivmedizinischer Maßnahmen erhalten werden, wenn sie darauf angewiesen sein sollten. Knappe Ressourcen dürfen niemals zugunsten oder zulasten bestimmter Bevölkerungsgruppen verteilt werden. Es bleibt zu hoffen und vehement einzufordern, dass die Politik und die Gesellschaft als Ganzes, behinderte Menschen als gleichwertige, starke und achtenswerte Gesellschaftsgruppe begreift, deren Wert niemals von äußeren Faktoren wie die im besten Fall selbstbestimmte Inanspruchnahme von Assistenz, dem körperlichen oder kognitiven Istzustand oder vager und meist unhinterfragter Vermutungen Nichtbehinderter über ihre Lebensqualität, in Frage gestellt werden darf.

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